Als Zigarettenrauchen moralische Pflicht war

■ Im Sessel sitzen und in freundlicher Atmosphäre über Völkerfreundschaft sprechen: Ein Besuch zweier Ausstellungen im Haus Ungarn anläßlich seines 25jährigen Bestehens

„Das Haus Ungarn ist ein geradliniger Fertigteilbau. Eine klassische Schönheit ist er nicht, aber zweckmäßig in der Funktion und ästhetisch gefällig durch die hervorspringende Fassade des ersten Stockwerks“, schrieb 1983 die DDR-Zeitung Urania.

Auch heute noch hat das ungarische Kulturinstitut in der Leipziger Straße einen „sympathischen Zug“. Ein 70er-Jahre-Museum. Nicht so poppig wie die legendäre Spiegel-Kantine in Hamburg, dafür eher dezent und weitläufig. Viel freistehende Aschenbecherröhren mit praktischer Druckmechanik, (damals, als Rauchen für den Intellektuellen noch moralische Pflicht war), runde resopalbeschichtete Tische mit Holzimitatmaserung und Sessel und Sofas in Farben, die man heute eher ablehnt, was falsch ist. Gern würde man in einem „K70“ ins Ungarische Kulturinstitut fahren und später in freundlicher Atmosphäre über Völkerfreundschaft sprechen. Zumal die Sessel in den Konferenzräumen ganz besonders bequem sind.

Im ersten Stock dokumentieren Fotos die Geschichte des Hauses, im Erdgeschoß thematisiert die Ausstellung „Wir denken oft an Piroschka“ „das Ungarnbild der Deutschen von 1954 bis heute“. „Früher waren die Ziele der politischen Entscheidungsträger offen und klar“, schreibt der Direktor György Dalos im Katalog zum 25jährigen Bestehen des Haus Ungarn. „Als die Regierung der Volksrepublik Ungarn 1973 ihr Kulturinstitut in der Hauptstadt der DDR eröffnete, wollte sie für das einzige mitteleuropäische Sozialismusmodell Reklame machen, das zu einem beeindruckenden Aufschwung der schönen Künste geführt hatte.“

Vor allem „die kulturellen Freiräume der Ära Kádár“ hätten dazu geführt, „die ungarischen Zustände im Westen als akzeptabel, im Osten als geradezu beneidens- und wünschenswert erscheinen zu lassen“. Filme konnten unzensiert laufen (Szabós „Mephisto“ wurde hier uraufgeführt), widerständige Bilder (Victor Vasarely) hingen an den Wänden, freimütig waren die Diskussionsrunden, und unbequeme DDR-Schriftsteller wie Franz Fühmann und Klaus Schlesinger bekamen im ungarischen Kulturinstitut Auftrittsmöglichkeiten.

Seit dem Herbst 89 ist alles viel schwieriger geworden. Das Kulturinstitut – seit 1991 offiziell in Haus Ungarn umbenannt – wurde in die unüberschaubare Berliner Kulturveranstaltungskonkurrenz gezwungen. Wo früher sehr existentiell auch gesellschaftliche Utopien thematisiert wurden, geht es heute um die Aufrechterhaltung des Betriebs; um die Besetzung einer kulturellen Nische, ums Fundgeldraising und Kulturmanagement.

Nicht nur Kunst gab es hier. Im Verkaufssalon des Hauses wurden auch Waren angeboten. „Eine attraktive Spezialität, die zahlreiche Bewunderer und Käufer findet, sind Wandbehänge, die vornehmlich aus Schafwolle und Sisal gefertigt werden. Außerdem sind Tabletts zu haben, Gartengrills, Keramik, Silberschmuck und Minispielzeug für Denkaufgaben, Schallplatten aller musikalischen Genres sind da“ – und das Foto zum Text aus der Berliner Zeitung vom 2. April 1975 zeigt eine kesse Blondine am Tresen, die an drei Plattentellern gleichzeitig „scratcht“ und „pitcht“, wie man heute zeitgeistmäßig kompatibel zu sagen pflegt.

Die von Attila Menesi und Christoph Rauch zusammengestellten Dokumente, die im ersten Stock des Hauses zu sehen sind, stimmen einen durchaus melancholisch; so wehmütig, wie die Zeile unter einem Foto, das den Dichter Franz Fühmann im Kinosaal des Hauses zeigt: „Leider wurde nicht der Dichter, sondern seine Leser auf dem Foto verewigt.“

Drei Ereignisse bestimmten in erster Linie das deutsche Ungarnbild – die eher unverdiente Niederlage der ungarischen Traumelf gegen eine mittelmäßige westdeutsche Nationalmannschaft 1954 ließ die „Besiegten“ wieder zu „Siegern“ werden, der Erfolgsfilm „Ich denke oft an Piroschka“ mit einer temperamentvollen Lieselotte Pulver ließ das Klischee eines unverdorben-ursprünglichen Urlaubsziels entstehen, im Sommer 89 schließlich war Ungarn für Hunderttausende DDR-Bürger das Durchgangszimmer zum Westen.

Die Bilder der Ausstellung illustrieren die teilweise recht rührenden Urlaubs-, Erholungs- und Verbrüderungswünsche der Urlauber. Am Fenster hängen herrlich himmelblaue Rettungsringe; im Raum stehen Campingstühle mit schicken 60er-Jahre-Bezügen. Am besten gefiel mir die Schönschrift unter einem Foto, auf dem Edeltraud beim Wandern zu sehen ist. Edeltraud ist eine schöne, schlanke große Frau mit Sonnenbrille in einer Zeit, als schlanke große Frauen noch nicht als schön galten und deshalb ein bißchen gebückt gingen.

Am 31. Januar ist übrigens „Piroschka-Tag“ mit Weinverkostung („mit dem Rotwein ,Balaton‘ aus der TV-Werbung“), Wettbewerb mit dem weltberühmten „Rubik-Zauberwürfel“, Tombola-Verlosung und authentischer Volksmusik. Ab 16 Uhr kann man den „typischen Ungarn“ am Phantombild-Computer entwerfen. Der „Piroschka-Film“ wird gleich dreimal gezeigt (nämlich um 15 Uhr, um 16.30 Uhr und um 18 Uhr).

Wie's weitergeht mit dem Haus Ungarn? – Wer weiß. Zwei Jahre lang wird das Institut aller Voraussicht nach noch in der Karl-Liebknecht-Straße seinen Sitz haben. An kostengünstigerer Stelle – in der Dorotheenstraße 12 – baut man schon ein anderes. Doch zur Zeit feiert das Ungarische Kulturinstitut erst mal seinen 25. Geburtstag. Detlef Kuhlbrodt