Wie ich einmal Buddhist war (I) Von Wiglaf Droste

Ich traf die beiden in einer Bar in Mitte. Über einen Teller Nudeln gebeugt, hatte ich die Leute beobachtet, die in dem Laden herumhingen: wie sie versuchten, sich zu amüsieren, aber nicht wußten, wie das geht, wie man das macht und was das überhaupt ist. Arme Säue mit etwas Geld eben. Die Stadt ist voll davon.

Also kaute ich und schaute aus dem Fenster – und da sah ich die zwei. Ich winkte, und sie kamen herein. Sie pellten sich aus ihren Mänteln. Wir begrüßten uns herzlich, und sie setzten sich. Dann war es plötzlich still. Es war lange her, daß wir uns gesehen hatten.

Sie – Ende 30 mußte sie jetzt sein – sah immer noch klasse aus. Ein roter Lockenkopf und kluge blaue Augen in einem Gesicht, das außer viel Verstand auch Mitgefühl verriet. (Und für die Idioten, die für so was keine Antennen haben, war auch sonst reichlich zum Gaffen da.) Ich hatte sie in allerbester Erinnerung: Mitte der 80er hatte sie bei einer Party in dem besetzten Haus in Kreuzberg, in dem sie wohnte, Schweinsköpfe an die Wände genagelt – jede Menge echte Schweinsköpfe vom Fleischer, um die sog. Humor- und Toleranzgrenze ihres sich selbst als super in Ordnung findenden linken Milieus auszutesten. Knapp gesagt: Sie wollte wissen, was die Leute, die sich ihre Freundinnen, Freunde, Liebhaber, Kommunarden und Genossen nannten, angesichts einer eher kleinen Provokation wohl tun würden und ob sie sauer wären.

Sie waren. Und wie! Und hatten sich damit – so stand es zumindest für die Provokateuse felsenfest – entlarvt. Was auch stimmte, weil sie verdruckst herumlaberten, was das sollte, und daß das wirklich nicht okay wäre, anstatt so aufzudrehen, wie sie's gerne getan hätten.

Mir gefiel die Sache, weil ich den längst unerträglich gesetzt gewordenen Hausbesetzerspießern gern dabei zusah, wie sie sich in ihrem Herumlawieren blamierten – wenn ich auch nicht leugnen kann, daß die Provokation einiges von der Fadenscheinigkeit der RAF- Nummer hatte, wie irre das Röckchen zu heben und dann, wenn einer den Schwanz hervorholte, „Erwischt! Erwischt! Faschist! Faschist!“ zu kreischen – nicht unähnlich übrigens der Masche, mit der auch Henryk M. Broder lange Zeit durchs Land zog: alle antisemitischen Ressentiments vollrohr mobilisieren und bestätigen und dann, wenn endlich ein paar Idioten drauf reingefallen waren, triumphierend „Antisemitismus!“ jodeln. So billig diese Nummer auch erscheinen mag, so hat sie aber doch ihr Recht: Man kann schließlich aus Leuten nur das herauskitzeln, was in ihnen steckt – es ist nur die Frage, ob es klug und weise und besonders beweiskräftig ist, das zu tun.

Aber auch der Begleiter meiner alten Bekannten war gut in Schuß. Vor sechs, sieben Jahren hatte er noch als Kellner in einer Kreuzberger Kneipe die Gäste angeschnorrt, um sich miesen Junk leisten zu können – jetzt trug er schweren Tweed und war einer der wenigen Männer, denen ein Schnurrbart wirklich gut stand. Mit seinem breiten Lächeln sah er aus wie ein Zigeunerbaron, und er benahm sich auch so: ausladend, ungeniert und fröhlich.

Wir begannen gerade zu plaudern, als – aber lesen Sie schon morgen Teil II der spannenden Serie „Buddhismus privat“.