■ Umfang und Grenzen Kleiner Anfragen, neu durchdacht
: Verantwortung und Selbstbefriedigung

Sinnlichkeit ist immer schön. Besonders, wenn sie an unerwarteter Stelle zum Vorschein kommt. So zum Beispiel in dem „Vermerk: Betr.: Umfang und Grenzen Kleiner Anfragen“ der Parlamentsdienststelle 131 (130) 2405 G 13-2022 des Deutschen Bundestages vom 9. Januar 1997“. Diese wegweisende Ausarbeitung beschäftigt sich mit dem parlamentarischen Recht von MdBs, die Bundesregierung in sogenannten Kleinen Anfragen zu nerven mit allen möglichen Auskunftswünschen – sei es zu den Kosten des Eurofighters oder zur Bahnsteighöhe an deutschen Bahnhöfen.

Während der Begriff der Kleinen Anfrage einen geringen Umfang solcher schriftlicher Informationswünsche nahelegt, nehmen die so etikettierten Elaborate der Abgeordnetenbüros oft beträchtliche Ausmaße an: Kataloge mit über 20 Einzelfragen, ausgebreitet und begründet über 10 Seiten und mehr, sind keine Seltenheit. Was Wunder also, wenn die Ministerialbürokratie unter der Abgeordnetenneugier lastvoll aufstöhnt und in besagtem Vermerk erst einmal klarstellt, was eine Kleine Anfrage, bitte schön, überhaupt sein soll.

Da heißt es unter erstens: „Kleine Anfragen dienen u.a. der Abfrage von Kenntnissen der Bundesregierung über Sachverhalte“ – wer hätte das gedacht. Sodann wird festgehalten, daß – zweitens – „die abgefragten Informationen teils bei Bundesbehörden vorhanden, teils bei Landesregierungen abzufragen, teils bei Dritten zu erkunden“ sind.

Diese Unterscheidung bringt immerhin etwas Zwielicht ins Dunkel diffuser Informationsgelüste der Abgeordneten. Apropos Gelüste: Wo eine Lust, ist meist auch die zugehörige Last nicht weit. Und so klärt das Schriftstück – drittens – dann auch auf, bei wem die Last des interaktiven Frage/ Antwort-Spielchens liegt: bei der Bundesregierung. Sie trägt nämlich, so ist zu lesen, „die Arbeitslast für die Informationsbeschaffung, die Finanzierungslast und“ – einer muß sie ja tragen – „eine (wieso eine?) Verantwortung für die Richtigkeit der Angaben“.

Und nun steigert sich der Verwaltungsvermerk – viertens! – zum konditionalen Höhepunkt: „Demnach könnte es sich empfehlen, künftig zu unterscheiden!“ zwischen „a: Kleinen Anfragen im engeren Sinne“, die aus dem Wissensstand der Behörden „innerhalb von 14 Tagen beantwortet werden können“, „b: Auskunftsverlangen“, deren Stellungnahme „längere Zeit in Anspruch nimmt, aber von der Bundesregierung aus Sachgründen ohnehin aufgearbeitet werden“ muß, und schließlich einer neuen, bisher nie dagewesenen Kategorie bundestäglichen Handelns: Der Vermerk kreiert die sinnliche Klasse der „c: Auskunftsbegehren, die die Antragsteller in eigener Verantwortung befriedigen sollen“.

Hinter diesem erotisierenden Vorschlag, zu dem sich ein schlichter Verwaltungsvermerk versteigt, verbirgt sich nichts weniger als eine Umkehr des traditionellen parlamentarischen Lust/Last-Prinzips: Der/die Abgeordnete wird zur Befriedigung seines/ihres Begehrens unverhofft an sich selbst zurückverwiesen, was der Aufforderung zur politischen Selbstbefriedigung gleichkommt. Der dialektische Kniff, den man der Verwaltung so gar nicht zugetraut hätte, im Antagonismus zwischen Fragelust und Beantwortungslast, liegt zweifellos im hier eingeführten Begriff der Verantwortung: Der/die Abgeordnete soll sich mit all den Fragen nicht nur selbst auf die Nerven gehen, sondern für diese autogene Beantwortung auch noch die Verantwortung übernehmen – was vermutlich die damit verbundene „Arbeits- und Finanzierungslast“ (siehe drittens) einschließt.

Es ist anzunehmen, daß dieser unsittliche Antrag bei den Fraktionen auf reservierte Zurückhaltung bis Ablehnung stoßen wird. Untertänigst schließt daher der revolutionäre Vermerk im dreifachen Konditionalis: „Falls die vorgeschlagene Unterteilung akzeptiert wird, dürfte es sich empfehlen, eine entsprechende Regelung zunächst probeweise in Kraft zu setzen.“ Wohl gesprochen, gut gekrochen, den Braten hab' ich doch gerochen!

Ali Schmidt, MdB

Unser Autor ist lebensfreudepolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen