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: Blinde Markierungssucht

„Eine Frau nach Maß“, Mi., 20.15 Uhr, ARD

Nichts gegen Märchen. Und gegen Marianne Sägebrecht schon gar nicht: Die ist Kult, seit Percy Adlon sie in „Zuckerbaby“ oder „Out of Rosenheim“ so hingebungsvoll zelebrierte. Die Geschichte von der dicken Dorfbriefträgerin, der übel mitgespielt wird, die aber dennoch Glück verbreitet und auch das ihre (wieder-)findet, hätte ein Märchen sein können.

Die Idee stammt von Sägebrecht selber: Als Margret Kirschenschneider liebt sie: 1. ihren Beruf, 2. ihren Kunstmaler Arthur, 3. Kühe und 4. viele selbstgebackene Makrönchen. Alles bestens. Bis ihr altes, praktisches Postauto einem Winzling von Twingo weichen muß, bei dem gleich was kaputtgeht, als sich die 102-Kilo-Margret erstmals reinzwängt. Jetzt soll sie abspecken oder den Dienst quittieren. Bei der Abmagerungskur gibt's immer nur Algenmus. Margret, unglücklich, nimmt zu statt ab und fährt heim, wo ihr Arthur sie betrügt. Verletzt flüchtet sie zur Theater-Impresaria Tony, die sie bei der Kur kennengelernt hat. So kommt Margret zur Bühne. Offenbachs „Herzogin von Gerolstein“ muß sie zwar in einer Ritterrüstung singen, was ihr aber nix macht und rührend komisch ist.

Hätte alles so schön werden können wie diese eine Szene. Leider waren aber zwei Produktionsfirmen für MDR und France 3 am Werk, mit französischem Buch und deutscher Regie. Das zeitigte nicht den kongenialen Wurf, den man von Detlef Rönfeldt (1995 Grimmepreis-dekoriert) vielleicht erwartet hätte, sondern eine Menge Ungereimtheiten, deutsch-französischen Namenssalat und lausige Dialoge. Schade drum.

Wenn auch aus dem Sägebrecht-Märchen nichts wurde, eines hat das Grenzgängerstück nie und nimmer verdient: das Brandzeichen „Melodram“. Doch die blinde Markierungssucht hat ARD-Methode. Zusammen mit den ebenfalls Melodram-gestempelten, völlig anders gearteten Filmen „Die Cellistin“, „Der Fischerkrieg“ und „Die Elsässer“ glaubt man allen Ernstes, eine Reihe zu verkaufen. Als „Melodram“ wird fortan einsortiert, was – wie auch immer – „Beziehungskisten“ reiferer Menschen tangiert. Das erhöhe die Zuschauerquote, meint Fernsehspielkoordinator Jürgen Kellermeier (NDR), und habe sich bei „Wilde Herzen“ bestens bewährt – dem Stempel für jedwede „junge Beziehungskiste“. Ulla Küspert