Return of the Goldzahn

Mit „Saturnz Return“ wälzt Goldie erneut das Drum 'n' Bass-Genre um. Gaststars machen noch kein Popalbum – Goldie schielt eher auf den Klassikmarkt  ■ Von René Martens

„Mann, ist der cool. Schade nur, daß die Platte Scheiße ist.“ Die Kollegin ist schwer beeindruckt von dem Mann, der ganz in Stüssy- Streetwear gekleidet ist und behängt mit einer goldenen Kette, einem goldenen Armreif und acht goldenen Ringen.

Glücklicherweise ist es genau umgekehrt. Der Frühdreißiger, der sich Goldie nennt, hält zum Beispiel Astrologie für ein „sehr relevantes Thema“. Zu den besten Platten aller Zeiten zählt er „Dark Side Of The Moon“ von Pink Floyd und eine von 10cc, deren Titel ihm gerade nicht einfällt. Und der Allergrößte, das sagt er wohl in jedem Interview, ist sowieso Pat Metheny. Das ist zwar allerhand, aber gewiß nicht cool.

Egal. Denn wie schon mit seiner ersten Doppel-CD „Timeless“ wälzt Goldie mit „Saturnz Return“, seinem neuen, zweieinhalb Stunden umfassenden Opus, erneut das Drum 'n' Bass-Genre um. Er präsentiert unter anderem die erste gelungene Synthese zwischen Breakbeat und Rock, mißt seine Kräfte zum Vorteil aller Beteiligten mit dem HipHop-Prediger KRS-One, und in seinem bisher ambitioniertesten Stück nachvertont er sogar nichts weniger als seine Geburt. Diese Komposition, 60 Minuten lang und bis auf einen viertelstündigen Mittelteil praktisch beatfrei, ist seiner Mutter gewidmet, heißt folgerichtig „Mother“ und wurde mit einem 30köpfigen Streichorchester eingespielt. Nein, Goldie überschreitet Grenzen nicht, er überfliegt sie – und zwar gleich mehrere auf einmal. So einer darf uncool sein.

Die erste Begegnung mit Goldie liegt zweieinhalb Jahre zurück. Ein bißchen lethargisch und mürrisch war er damals: Mal verfiel er in eine Art Alter-ich-hau-dir-gleich- was-auf-die-Schnauze-Attitüde, mal erinnerte er an einen Betrunkenen, der einem mit zunehmender Intensität seiner Ausführungen immer dichter auf die Pelle rückt. Das war gar nicht mal unsympathisch – und allemal, so blöd es klingt, glaubwürdig.

Dieses Mal dagegen ist er hyperfreundlich, ja geradezu überdreht. Manche Geste, besonders der häufige Griff an die Stüssy- Kappe, paßt überhaupt nicht zu dem, was er gerade sagt. Als sich via Handy mal eben ein Kumpel aus Japan oder weiß der Geier woher zu Wort meldet, schmeißt sich der King of D'n'B rücklings aufs Hotelzimmersofa und grapscht mit der rechten Hand in die linke Hosentasche, als wisse er nicht, wohin mit seiner Energie. Sein Lieblingswort ist „fantastic“. Daß auf seinem Label Metalheadz jetzt auch langsamere Tracks erscheinen; daß die journalistische Freiheit, wie auch immer er darauf kommt, in den letzten Jahren größer geworden ist – alles irgendwie „fantastic“. Zum Lunch gab es offenbar weißes Pulver.

Regisseur statt Beat- und Soundschmied

Auch deshalb wirkt seine Großmäuligkeit unfreiwillig komisch. „KRS-One ist ein großer Philosoph, auf dieselbe Weise, wie ich ein großer Philosoph bin“, sagt Goldie. Trotzdem war der andere große Philosoph nicht „kreativ involviert“ in die Arbeit an dem Stück, auf dem er rappt, ebensowenig wie David Bowie und Noel Gallagher, die beiden anderen prominenten Gäste, gezwungen waren, sich Gedanken zu machen. „Ich habe ihnen genau erklärt, was sie tun sollen“, betont der Maestro. Hm. Wie mag er das wohl gesagt haben: „David, du bist 'ne coole Socke, ich respektiere dich, seit ich einen Plattenspieler besitze, aber jetzt singst du bitte genau so, wie ich es dir sage“? Wahr ist, daß Goldie mit einer gewissen Motivationskunst gesegnet ist, denn er erweckt sogar eine Schnarchnase wie den Oasis-Bubi zum Leben und animiert Bowie zu seiner besten Ballade seit rund 20 Jahren.

Daß der ehemalige Sprayer auf die Kacke haut, ist grundsätzlich okay, denn er ist nun mal das mediale Aushängeschild einer Szene, deren Gesichter sonst kaum jemand kennt. Aber es steckt noch mehr dahinter. Der Mann hat Nachholbedarf. „Bis zu meinem 17. Lebensjahr habe ich nur selten den Mund aufgekriegt“, gibt er zu.

Außerdem überbetont er seinen Anteil an der Musik, weil ihn die Position mancher Kritiker wurmt. Sie halten Rob Playford, der bei den meisten Stücken als „Engineer“ firmiert und sich mittlerweile mit Goldie überworfen hat, für die wichtigere Figur. „Die Ideen stammen alle von mir“, bekräftigt der Chef. Playford habe sie lediglich „organisiert“. Immerhin, als „Genie“ möchte Goldie dann doch nicht bezeichnet werden. „Kein Künstler hat das verdient. Meine Musik entsteht, weil ich auf andere Leute pralle, so hole ich mir Anregungen und Ideen.“

Abgesehen davon, daß Playford mit Moving Shadow eines der fünf wichtigsten D'n'B-Label führt und man sich kaum darum sorgen muß, er könnte sich jemals als ausgebeuteter Handlanger gefühlt haben: Ist es wirklich von Bedeutung, daß Goldie weniger Tasten und Knöpfe bedient als der durchschnittliche Beat- und Soundschmied? Daß er, offensichtlich ein Chaot vor dem Herrn, belastbare Mitarbeiter braucht, die ihm dabei helfen, seine Visionen auf die Reihe zu kriegen?

Die Diskussion, der sich Goldie nicht souverän zu entziehen vermag, erinnert manchmal an längst vergessen geglaubte Zeiten, als es noch Menschen gab, die von einem Musiker verlangten, daß er ein Instrument beherrschen müsse. Wahrscheinlich führt Goldie hauptsächlich Regie. Aber daß er nur Anweisungen gibt, ist auch schwer vorstellbar, dazu ist er zu sehr vernarrt in die Technik: „Man muß Spaß mit ihr haben, wie mit einem Auto, mit dem man eine Spritztour macht.“

Am stärksten wurde die Hardware bei „Mother“ beansprucht. „Wir hatten zwei miteinander verbundene Macintoshs im Einsatz und mußten sämtliche 48 Spuren ausnutzen. Neun Stunden hat der Speicherprozeß gedauert“, blickt er fasziniert zurück. Irgend jemand hat ihm vorgerechnet, daß er für „Mother“ 350.000 Disketten benötigt hätte, wenn wir in einer Welt ohne Festplatten leben würden.

Seine Mutter hat die monumentale, zuweilen sakral anmutende Widmung bisher nicht gehört. „Der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen. Ich werde ohnehin nur die CD einlegen, denn ich kann nicht im selben Raum sitzen, wenn sie sich das Stück anhört.“ Goldie mußte seine leiblichen Eltern einst selbst finden. „Ich wußte nicht, wer ich war, ich wurde oft getäuscht im Leben. Um so mehr mag ich es heute, mit Musik Wahrnehmungen zu täuschen. Es freut mich, daß der Eindruck entsteht, auf ,Saturnz Return‘ dominiere Musik ohne Beat. Wer es genau durchrechnet, wird feststellen, daß das nicht stimmt. Die Leute lassen sich durch die Tiefe täuschen.“

Hardware-Einsatz für die Mutter aller Stücke

„Mother“ ist der Kern des neuen Werks, von ihm „gehen alle anderen Stücke aus“. Deshalb wollte er es nicht einzeln veröffentlichen, wenngleich es ihn gereizt hätte, damit auf den Klassikmarkt zu gehen und es jenen, die heute die klassische Musik regieren und die er wahlweise als „Bauern“ oder „Aristokraten“ beschimpft, mal richtig zu zeigen. „Die großen Werke von, sagen wir mal, Pjotr Tschaikowsky, werden doch heute auf ermüdende Weise reproduziert“, meint Goldie. „Ich bin mir sicher, Tschaikowsky würde es auch langweilig finden.“

Grundsatzdebatten mag Goldie ansonsten nicht: „Ich werde dauernd gefragt, was ich davon halte, daß diese oder jene Leute Drum 'n' Bass imitieren oder ausbeuten. Ehrlich gesagt, es ist mir ziemlich egal.“ Die These, D'n'B sei ein Pop- Genre unter vielen geworden, weil die Musik in domestizierter Form in Werbespots, TV-Trailern oder ähnlichem verwendet wird, war in den letzten Monaten häufiger zu hören. Womöglich wird sie, mit Blick auf Goldies Gaststars, wieder aufgekocht. Aber „Saturnz Return“ eignet sich als Argument dafür überhaupt nicht. Dem Durchschnittshörer dürften die Stücke zu sperrig sein, das Werk als Ganzes zu vielschichtig. Sympathisierende Rockfans kaufen sich vielleicht „Temper Temper“, Goldies Kooperation mit Noel Gallagher, als Single. Eine Metalheadz- Maxi werden sie danach trotzdem niemals anrühren.

Nachdem Goldie vor zweieinhalb Jahren in dem 21minütigen Stück „Timeless“ sein „gesamtes Leben zusammengefaßt“ hatte und jetzt die Geburt an der Reihe war, steht für seine nächste Platte immerhin etwas weniger Monumentales an. „Ich werde zurück zur Quelle gehen, das heißt in Afrika Drums aufnehmen. Daraus werde ich Loops basteln, wie man sie noch nicht gehört hat.“ Erst einmal aber geht Goldie zum Film, mimt mit David Bowie und bald auch mit Val Kilmer. Eigentlich eigenartig, daß das so lange gedauert hat mit der Filmkarriere.

Goldie: „Saturnz Return“. 2-CD- oder 3-LP-Set (Metalheadz)