„Seither ist doch nichts Großes mehr passiert“

■ Der Erfolg über Shell von 1995 hat Greenpeace keinen dauerhaften Nutzen gebracht. Nach der Brent-Spar-Besetzung eskalierte der interne Konflikt über die richtige Art von Aktionen

Zuerst wollte Greenpeace gar nicht. Drei Monate brauchte Gijs Thieme, um die Besetzung der Brent Spar bei Greenpeace durchzusetzen. Besonders die deutsche Sektion sträubte sich, weil die Aktion gar nicht in ihr Kampagnenschema paßte. Dann wurde die Besetzung am 1. Mai 1995 der größte Erfolg aller Zeiten. Erstaunlicherweise hat Greenpeace davon heute keinen zählbaren Nutzen: kein Spendenboom, kein einziges neues Fördermitglied. Die Einnahmen erhöhten sich nur leicht um drei Prozent und fielen 1996 wieder auf Normalniveau.

Die Brent-Spar-Aktion lieferte alles: „Visuelle Durchschlagskraft, Symbolgehalt und einen mächtigen Gegner“, wie es damals der Kampagnendirektor von Greenpeace International, Ulrich Jürgens, ausdrückte. Die Botschaft kapierte jeder: Shell versenkt seine Plattform im Meer, während wir zu Hause jedes Marmeladenglas auswaschen und zum Altglascontainer tragen.

50 Tage brauchte Greenpeace, um Shell in die Knie zu zwingen. Denn Shell machte alles falsch, ging brutal gegen die Besetzer vor. „Shell hat den Pressewirbel selbst verursacht“, urteilt Gijs Thieme heute. Am 17. Mai hatte der Protest gegen die „schwimmende Giftinsel“ die Bild-Zeitung erreicht, am 23. Mai wurden die ersten Boykottaufrufe laut. Am Ende war ein illustres Bündnis von Lotti Huber bis Helmut Kohl gegen Shells Pläne. „Ein großer Sieg“, erinnert sich Sascha Müller-Kraenner vom Deutschen Naturschutzring. „Die Umweltschutzbewegung brauchte mal wieder ein Erfolgserlebnis.“

Brent Spar hatte die Maßstäbe verrückt. „Ob man nicht auch den Krieg in Jugoslawien beenden könne“, fragten besorgte Bürger bei Greenpeace an. Aber auch manche Greenpeace-Aktivisten glaubten nun, sagt Jürgens, sie könnten „mit einem Fingerschnippen die Welt verändern“. Die kalte Dusche kam bereits im September 1995 vor Moruroa. Natürlich hatte die Greenpeace-Zentrale nicht geglaubt, Frankreich von seinem Atomtest im Pazifik abhalten zu können. Und doch scheiterte die Aktion an dem Übermut einzelner Beteiligter. Greenpeace war mit zwei Schiffen vor Ort, eines sollte provozieren, eines nicht, um in jedem Fall präsent zu sein. Doch das zweite Boot schickte einen Hubschrauber ins französische Hoheitsgebiet, Grund genug für Frankreich, auch das zweite Boot zu kapern. Innerhalb von drei Stunden war die Aktion „vermasselt, nur weil sich da einer wichtig machen wollte“, schimpft Jürgens, der die Aktion koordinierte.

Nun ist es eigentlich sympathisch, daß bei Greenpeace nicht alles wie geschmiert lief. Doch die Presse hatte ihr Opfer gefunden. Wie ein enttäuschter Liebhaber stürzte sie sich auf Greenpeace. ARD-Korrespondent Christoph Lütgert, der unbedingt auf der Rainbow Warrior mitfahren wollte, warf Greenpeace „Volkssturmdenken auf ökologisch“ vor – und offenbarte damit auch seine eigene sensationslüsterne Hoffnung vor der Abfahrt.

Der Spiegel beklagte, daß über das Brent-Spar-Spektakel die Verschmutzung der Nordsee kein Thema mehr war. Kurz zuvor hatte Greenpeace auch noch zugeben müssen, daß es die Ölschlammmenge auf der Brent Spar fünfzigmal zu hoch angegeben hatte. Allerdings war diese Zahl ohnehin erst drei Tage vor Shells Aufgabe bekanntgegeben worden. Für den Erfolg der Aktion war das nicht entscheidend. Auch dieser Fehler entstand Jürgens zufolge „aus der Profilierungssucht“ einzelner.

Nach Brent Spar eskalierte aber auch der Konflikt bei Greenpeace über die richtige Art von Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit. Ulrich Jürgens, der Greenpeace-Kollegen öffentlich kritisierte, mußte gehen. Viele erfahrene Aktivisten verließen die Organisation. Seit Brent Spar, so Jürgens, sei bei Greenpeace eine „Buchhaltermentalität“ eingezogen. „Seither ist doch nichts Großes mehr passiert.“ Matthias Urbach