■ Nach dem Anschlag islamistischer Attentäter im November meiden ausländische Besucher Oberägypten. Die Tourismusbranche kollabiert, die Regierung lenkt den Verdacht auf „ausländische Kräfte“. Ein massives Polizeiaufgebot soll Sicherheit suggerieren Von Thomas Dreger (Text) und Roland Köhler (Fotos)
: Totentanz im Tal der Könige

Die Pharaonen haben wieder ihre Ruhe. Zu Hunderttausenden stornierten ausländische Urlauber ihre Winterreise, und auch mit dem Frühlingstourismus können die Ägypter in diesem Jahr nicht rechnen. Dabei ist der Fremdenverkehr die wichtigste Einnahmequelle des bitterarmen Landes. Mit ihren brutalen Attentaten haben die „Gamaa al Islamijaa“, wie sich die ägyptischen Islamisten nennen, auch im eigenen Land keine Freunde gewonnen.

Wenige Minuten nachdem sich der Zug nach Oberägypten vom Kairoer Ramses-Bahnhof in Bewegung gesetzt hat, erfüllt knarzendes Schnarchen das Großraumabteil. Ein dicklicher, gutgekleideter junger Mann hat die Schuhe ausgezogen und sich auf vier Sitzplätzen ausgebreitet. In seinem Hosenbund steckt eine Pistole, aus dem Lederrucksack ragt der Lauf einer Kalaschnikow. Der Passagier wird im Lauf der zwölfstündigen Zugfahrt keinen der Plätze hergeben – obwohl sich das Abteil füllt und Reisende Platzreservierungen für die von ihm okkupierten Sessel vorweisen.

Nur bei den wenigen Zwischenstopps hebt der Mann matt die Augenlider und mustert die Zugestiegenen, dann schnarcht er weiter. Erst gegen Abend kommt Leben in den fülligen Körper. Hektisch zieht er ein Walkie-talkie aus dem Rucksack. „Hier ist die Sicherheit, sofort herkommen“, tönt er im Befehlston. Nach wenigen Sekunden erscheint ein junger Soldat in zerschlissener Uniform und löchrigen Stiefeln. Gemeinsam mit fünf weiteren Soldaten ist er in einem Güterwaggon direkt hinter der Lok untergebracht. Eigentlich soll er den Zug nach Oberägypten beschützen, der in der Vergangenheit wiederholt vermutlich von militanten Islamisten beschossen wurde. Das ist auch der Auftrag des Sicherheitsmanns im Großraumwagen der ersten Klasse. Doch der hat alles andere im Sinn und schickt den Soldaten erst mal in den Speisewagen. Dampfende Aluminiumschalen auf einem Tablett balancierend, kehrt der Soldat wenig später zurück.

Es ist der Fastenmonat Ramadan und gleich – um 17.15 Uhr – ist Iftar, Fastenbrechen. Jener Zeitpunkt des Tages, auf den die meisten Ägypter harren, seit die Sonne aufgegangen ist und sie nichts mehr zu sich nehmen durften. Kaum ist es soweit, stürzt sich der Sicherheitsbeamte auf die Schalen und leert sie in Windeseile. Wieder greift er zum Walkie-talkie: „Die Sicherheit. Herkommen!“ Mit demütig gesenktem Blick trabt der Soldat an. Diesmal muß er Tee holen. Der Vorgang wiederholt sich dreimal, bevor sich die Security eine Zigarette anzündet. Als der Qualm das andere Ende des Abteils erreicht hat, steht ein älterer Herr auf und weist den Raucher auf die bekannten Schilder mit der rot durchkreuzten Zigarette hin: „Das hier ist ein Nichtraucherabteil, machen Sie bitte Ihre Zigarette aus.“

Den Sicherheitsmann ficht das nicht an. „Ich bin hier der Sicherheitschef und darf den Wagen auch zum nicht Rauchen verlassen“, bügelt er den Fahrgast ab. „Verschwinde also!“

Kurz vor neun Uhr abends hält der Zug mit qietschenden Bremsen im Bahnhof von Luxor. Über eine Stunde Verspätung hat er, unter anderem, weil unterwegs ein Schienenstück repariert werden mußte – nicht nach einem islamistischen Anschlag, sondern wegen normaler Verschleißerscheinungen des bereits von den britischen Kolonialherren gebauten Stahlstranges. Auf ein knappes Dutzend Touristen, das hier aus dem Zug steigt, stürzen sich mindestens doppelt so viele Schlepper: „Cheap Hotel. Only five Dollars including breakfast.“

DDer Gang zum Nilufer wird zum Spießrutenlauf: „Taxi, Taxi?“ schallt es von allen Seiten. Hunderte Einwohner der Stadt haben auf der anderen Seite des Flusses, dort wo die weltberühmten pharaonischen Tempel stehen, ihre Fahrzeuge geparkt und warten auf Fahrgäste. Die rostige Fähre über den Nil führt ein alter Mann in Galabaija und mit zerfurchtem Gesicht. Mit starrem Blick dreht er ein Steuerrad von über zwei Meter Durchmesser und lenkt das Boot über den blauen Fluß und wieder zurück. Auf den Holzbänken an Bord sitzen zwischen Einheimischen ein knappes Dutzend ausländische Besucher. Zuwenig für die Taxifahrer. Obwohl es zu den mehrere Kilometer entfernten archäologischen Stätten keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, müssen die meisten auf die nächste Fähre warten – oder auf die übernächste, Inscha-Allah.

Am Eingang zum Tempel der Königin Hatshepsut schieben schwarz uniformierte Polizisten mit kugelsicheren Westen und Maschinenpistolen Wache. „Touristenpolizei“ und „Antiquitätenpolizei“ steht auf der Uniform. Die Ordnungshüter sind erst seit wenigen Wochen hier stationiert. Als im vergangenen November ein sechsköpfiges Mordkommando der Islamischen Gruppe hier 58 ausländische Touristen und vier Ägypter niedermetzelte, war weit und breit kein Polizist zu sehen.

Vor dem mitten in der Wüste gelegenen Säulentempel finden sich heute knapp fünfzig Besucher ein, Hunderte waren es vor dem Attentat immer. „Dieser Tempel hat eine sehr bewegte Geschichte“, erzählt ein Reiseführer mit ausgeprägtem Bauchansatz und lichtem Haar einer dreiköpfigen deutschen Familie, „beispielsweise wurde er 1864 bei einem Erdbeben schwer beschädigt.“ Und auf Nachfragen: „Von uns aus erwähnen wir das Massaker nicht." Abdal-Latif Sanussi macht sich sein Germanistikstudium als deutschsprachiger Reiseführer zunutze. „Manchmal fragt jemand, dann muß ich natürlich darauf eingehen. Aber eigentlich versuchen wir, das Ereignis zu verschweigen. Schließlich kommen die Leute wegen des Tempels und nicht wegen der Politik.“ Seit dem „Zwischenfall“, wie Sanussi sagt, besuchen kaum noch deutschsprachige Touristen Luxor. Kein Wunder: Die meisten Opfer der Schlächterei waren Schweizer und Deutsche. „Aber Italiener und Spanier kommen immer noch. Und die Zahl der Franzosen hat zugenommen. Mir als Deutschsprachigem nützt das allerdings nichts“, seufzt Sanussi.

Die dreiköpfige Familie aus dem Ruhrgebiet, die er heute begleitet, ist eine Ausnahme. „Pech haben kann man überall auf der Welt“, meint das Familienoberhaupt unter seinem Nivea-Hütchen, und seine Frau nickt zustimmend: „Ich glaube nicht, daß das hier noch einmal passiert.“

Wahrscheinlich haben sie recht. „Im Umkreis des Tempels sind fast hundert Sicherheitsbeamte im Einsatz“, erklärt ein gespielt gelangweilt auf der Tempeltreppe sitzender Mann mit Kopfwickel und Pistole unter der weiten Galabija. Überall auf den Berggipfeln seien jetzt Polizisten stationiert, niemand könne sich dem Tempel unbemerkt nähern, so wie damals, am 17. November. „Vor dem Massaker war ich einfacher Polizist in Luxor“, erzählt der Mann, der sich als Hassan Abdallah vorstellt. „Als wir von dem Massaker hörten, sind wir sofort zum Tempel geeilt und haben die Mörder verfolgt.“ Etwa drei Kilometer entfernt, hinter dem Tal der Königinnen, habe er sie gemeinsam mit einem Kollegen gestellt und erschossen. Später hätte es in den Medien geheißen, die Attentäter hätten sich selbst getötet – die Legende vom Selbstmordkommando war geboren. „Aber“, so Abdallah, „das stimmt nicht. Einer war verletzt, den haben seine Kumpane erschossen, um zu verhindern, daß er aussagt. Die anderen starben durch Polizeikugeln. Darauf bin ich stolz.“

Weil auch die ägyptische Regierung bemüht ist, das Kapitel Luxor in Vergessenheit geraten zu lassen, schwirren die Gerüchte. „Ausländische Mächte“ stünden hinter den Attentätern, erklärte Präsident Mubarak einen Tag nach dem Anschlag. Die Bevölkerung spinnt diese Version zur Verschwörungstheorie weiter: „Die wahren Mörder sind keine Ägypter“, wettert beispielsweise ein Gast in einem Teehaus in Luxor und zieht energisch an seiner Wasserpfeife. Israel und die USA wollten Ägypten für seine proarabische Haltung bestrafen. Aber auch andere Versionen sind denkbar. „Dahinter stecken die Briten“, hält sein Tischnachbar, ein älterer Mann in zerschlissenem Anzug, dagegen. Die ehemalige Kolonialmacht wolle Ägypten weiter in einem Abhängigkeitsverhältnis halten und neide dem Staat am Nil seine touristische Attraktivität. „Nur deshalb beherbergt Großbritannien Terroristen wie Mustafa Hamsa. Die Briten wissen genau, daß er hinter dem Massaker steckt. Aber sie weigern sich, ihn auszuliefern, weil er ihren Interessen dient“, argumentiert der Mann und erntet die kollektive Zustimmung der Teehausgäste. Niemand hat Verständnis, daß der Aktivist der Gamaa al-Islamia in London Asyl genießt, weil ihm in Ägypten die Todesstrafe droht. „Durch den Anschlag wurden nicht nur Touristen getötet, sondern auch Hunderttausende Ägypter, die vom Tourismus leben“, ereifert sich einer. „Sie sollen ihn ausliefern, damit wir ihn hier ganz langsam töten können.“ Vor den Pharaonengräbern im weltberühmten Tal der Könige – nur wenige Taximinuten vom Tempel der Hatshepsut entfernt – versuchen fliegende Händler den Touristen aus Alabaster geschnitzte Scheußlichkeiten anzudrehen: Abbilder des den alten Pharaonen heiligen Skarabäus und ähnliche typische Souvenirs. „Ich will das Ding nicht“, lehnt der Besucher ab. „Ich brauche es nicht. Und außerdem ist es häßlich.“ Dem Verkäufer – ein älterer Herr, der sich sichtlich gequält an die wenigen Touristen heranmacht – treibt die gnadenlose Ablehnung fast Tränen in die Augen. „Sie müssen es kaufen“, fleht er. „Das ist mein Geschäft, davon ernähre ich meine Familie. Wissen Sie nicht, wie die Situation hier derzeit aussieht?“

Auf der Fahrt nach Assuan, 200 Kilometer südlich von Luxor, sitzen ganze fünf Touristen im Zug. Drei von ihnen in kurzen Hosen, T-Shirt und Badeschlappen, eine Frau im kurzen Rock. Die im Fastenmonat Ramadan betont sittenbewußten ägyptischen Mitreisenden sehen großzügig darüber hinweg. „Touristen dürfen das“, sagt ein junger Mann. „Aber wenn meine Schwester so herumliefe...“

Assuan ist durch zwei Bauwerke bekannt geworden: durch den unter Präsident Gamal Abdal-Nasser erbauten und nach ihm benannten Nilstaudamm und durch die noch einmal 200 Kilometer entfernten Tempel von Abu Simbel. Touristen interessieren sich zumeist für letztere Sehenswürdigkeit – und das hat für die Kleinstadt am Nil inzwischen fatale Folgen. Denn nach dem Anschlag von Luxor hat Ägyptens Regierung den Landweg von Assuan nach Abu Simbel für Touristen gesperrt. Aus Sicherheitsgründen dürfen Ausländer nur noch per Flugzeug zu den Ruinen reisen. Das kostet rund 100 US-Dollar, unbezahlbar für Rucksacktouristen, die jetzt die Mehrheit der Besucher ausmachen. 15 Nildampfer liegen in Assuan vor Anker. Seit Islamisten vor fünf Jahren begannen, die Touristenkreuzer vom Ufer aus zu beschießen, legt mangels Passagieren kaum noch einer ab. Hinzu kommen geschätzte 2.000 Falukas – kleine, archaische Segelboote, deren Kapitäne davon leben, Touristen herumzuschippern. Einer von ihnen ist Massud. Während der hochgewachsene Nubier sich mit ein paar Kollegen die Zeit mit Kicken vertreibt, dümpelt seine Faluka am Ufer. „Gestern habe ich einen Japaner zur Elefanteninsel gebracht“, sagt er, „das wird wohl mein einziger Kunde in dieser Woche bleiben.“ Zum Überleben langt das natürlich nicht. Aber nur der Nil, Falukas, die faszinierende Wüstenlandschaft und wahrscheinlich der schönste Bazar Ägyptens reichen den meisten Touristen nicht. „Vor zwei Wochen war hier eine japanische Reisegruppe“, berichtet Massud. „Als die hörten, daß die Straße nach Abu Simbel gesperrt ist, sind sie empört abgereist. Für die waren die Ruinen etwa so wichtig wie für Muslime die Kaaba in Mekka.“

Anders als die meisten seiner Landsleute, hält Adel nichts von der Version, ausländische Mächte steckten hinter dem Anschlag von Luxor. „Alle sechs Attentäter kamen aus Ober- und Mittelägypten, einer sogar aus einem Dorf wenige Kilometer von der Stadt entfernt, und einer kam aus Asjut, meiner Heimat“, berichtet der studierte Sozialpädagoge. Mangels Alternative arbeitet er in einer Absteige für Rucksacktouristen. In der mittelägyptischen Stadt Asjut fing der Krieg gegen den ägyptischen Staat an. Erst töteten militante Islamisten Militärs und Polizisten, dann Angehörige der christlichen Minderheit der Kopten und schließlich Touristen.

„Die Fronten sind längst nicht so klar, wie die Regierung behauptet“, erzählt Adel. In Asjut seien auch Familienfehden bewaffnet ausgetragen und die Opfer anschließend den Islamisten zugeschrieben worden. Und viele Anhänger der Islamischen Gruppe sind ehemalige Afghanistan-Kämpfer. Von der ägyptischen Regierung waren sie als Mudschaheddin in den Hindukusch geschickt worden, um dort die „gottlosen Kommunisten“ zu bekämpfen. Nach der Befreiung des Landes von den sowjetischen Besatzern kehrten sie zurück und stellten fest, daß auch in ihrer Heimat nicht jenes islamische Gesellschaftssystem existiert, das ihre afghanischen Mitkämpfer propagierten. Und: Die ägyptische Regierung hatte für die ehemaligen Kämpfer keine Verwendung, geschweige denn finanzielle Unterstützung. Der Haß auf den Staat wuchs.

Ein weiteres Motiv für die Gewalt sieht Adel schlicht in der Armut der Leute. „In Ägypten gibt es keine Demokratie“, konstatiert er. Weite Teile der Bevölkerung hätten gar keine Zeit, sich für Politik zu interessieren, weil sie mit dem täglichen Überlebenskampf viel zu beschäftigt seien. Aber eine kleine, dem Präsidenten ergebene Elite werde dabei immer reicher. „Wer im Bereich Tourismus Geschäfte machen will“, behauptet Adel, „kommt nicht an Mubaraks Sohn Alaa vorbei.“ Der 30jährige Präsidentensproß habe im ganzen Land die Finger in dem bisher lukrativen Geschäft. An den meisten großen Hotels und Beachclubs sei er irgendwie beteiligt. Deshalb sei Alaa Mubarak einer der Hauptleidtragenden der Anschläge. Ob ihn die Islamisten treffen wollen? Adel mag darüber nicht reden: „Wer über die Hintergründe des Massakers spekuliert, landet schnell im Gefängnis.“ Und die meisten BürgerInnen fänden den rigiden Umgang der Staatsführung mit ihren echten und mutmaßlichen Gegnern auch völlig in Ordnung – erst recht nach dem Massaker von Luxor. Denn, so meint er zynisch: „Die ägyptische Bevölkerung ist noch sehr pharaonisch orientiert.“s