■ Vorschlag
: „Malzeit“ im Haus am Kleistpark

Das Leben hält selten so klare Anweisungen wie ein Malbuch bereit. Hier liegt das Ziel klar vor Augen, die ausgemalte Pracht ist als Belohnung vorhersehbar. Das hat die Malbücher in einer kreativen Pädagogik etwas in Verruf gebracht. In der Ausstellung „Malzeit“ steigert der junge Künstler Ram Katzir ihre Handlungsaufforderung. Er hat lange Bänke und Tische gezimmert, die eine Stimmung zwischen rustikaler Schutzhütte und alptraumhaftem Schulzimmer erzeugen. Wer sich setzt, muß ungemütlich auf der Kante der überdimensionierten Bänke balancieren. Bei so viel Kindheitsmuster ist man auf der Hut, und das ist gut so. Denn bald erweisen sich die Malbücher als härtester ideologischer Stoff. Schon das niedliche Reh auf der ersten Seite ist der nationalsozialistischen Propaganda entsprungen. Unter den fotografischen Vorlagen, abgebildet auf der letzten Seite, finden sich die Heile-Welt-Muster von Bauernfamilie und jubelnden Kindern ebenso wie Bilder der Deportation. Katzir hat Ausschnitte vergrößert und vereinfacht: Je länger man blättert, desto mehr schiebt sich die Geschichte an die Oberfläche, und man schaudert vor den grausigen Inhalten mindestens ebenso zurück wie vor der manipulativen Kraft der Bilder. Am Ende begreift man kaum, daß ihre Intentionen nicht schon immer offensichtlich waren.

Seit drei Jahren arbeitet der aus Israel stammende Katzir mit den Malbüchern, die schon in Holland, Litauen, Israel und Polen ausgelegt waren. Ihr Angebot an den Besucher ist ernst gemeint: Katzir hat es auf einen Dialog zwischen den Bildbearbeitungen abgesehen. Denn die wenigsten malen brav Flächen aus. Fast immer entstehen Kommentare: Seiten wurden geschwärzt, gelöchert, mit Blumen übermalt, die Figuren mit Hakenkreuzen und Teufelshörnern gekennzeichnet. Ein Mädchen, das Hitler Blumen überreichte, erhielt immer wieder ein Messer in die Hand.

In Berlin schreiben viele Besucher über die Bilder, über das Nicht-ausmalen-Können, über Auseinandersetzungen in der eigenen Familie, die oft gehörten Floskeln des Nichts-gewußt-Habens. So gelingt es Katzir tatsächlich, nicht den entsetzten Blick auf die Vergangenheit einzufrieren, sondern ihr Fortwirken in jedermanns Gegenwart spüren zu lassen. Zum Abschluß des Projektes will er eine Auswahl der Bearbeitungen in Amsterdam zeigen. Katrin Bettina Müller

Bis 8.3., Di-So 12-18 Uhr, Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6/7