Vom Tanz und anderen Schwierigkeiten

■ Nahziel Schwerstarbeit: Gerhard Brunner, Intendant in Graz und Projektmanager des neuen „BerlinBalletts“, soll aus den Tanzcompagnien der drei Berliner Opern eine einzige zimmern

Der Mann hat eine große Aufgabe. Am Donnerstag präsentierte Peter Radunski einen neuen Hoffnungsträger der Berliner Kultur: Dr. Gerhard Brunner, frisch engagiert als Berater des neu zu strukturierenden „BerlinBalletts“. Ihm obliegt es, die Gespräche zwischen den Opernhäusern anzuschieben, deren drei Ballettgruppen zu einem Ensemble mit einem klassischen und einem modernen Zweig umgewandelt werden sollen. Als Nahziel benannte Brunner eine Zusammenarbeit zwischen den Compagnien und die Suche nach einer gemeinsamen künstlerischen Linie. Schon das könnte sich angesichts ihrer langjährigen Konkurrenz, die mit Ost-West-Konflikten gepfeffert ist, als Schwerstarbeit erweisen. Brunners Fernziel ist die Unabhängigkeit des „BerlinBalletts“.

Der Mann hat nicht viel Zeit. Brunner leitet ein von ihm 1982 mitgegründetes Tanzfestival in Wien und ist seit 1990 Intendant der Vereinigten Bühnen Graz/ Steiermark. Daß es ihm dort gelungen ist, den Verwaltungsaufwand herunterzuschrauben und gleichzeitig die Produktivität zu erhöhen, hat ihn dem Senat als Retter der Berliner Ballettszene empfohlen. In Berlin will er sich ein Team zusammenstellen; er selbst wird wohl nur für zwei Tage alle zwei Wochen und zu wichtigen Aufführungen aus Graz einfliegen. Das scheint für das Vorhaben der Moderierung zwischen den Häusern keine günstige Voraussetzung zu sein. Zeitdruck aber macht vor allem die jetzige Situation der Ballette, deren Vorstellungen „erschreckend leer sind“, wie Brunner in einem Interview sagte. An der Komischen Oper kommen geplante Stücke nicht heraus, an der Staatsoper Unter den Linden haben ein Drittel der Tänzer die Compagnie mit der ungewissen Zukunft verlassen. Das Defizit an künstlerischen Visionen, an dem alle drei Häuser leiden, muß dringend angegangen werden.

Dr. Brunner, der als Jurist promovierte, bevor er sich der Musik- und Ballettkritik verschrieb, ist höflich und achtet Hierarchien. So wurden die ersten Gespräche mit den Intendanten und künstlerischen Leitern der Opernhäuser geführt, Götz Friedrich (Deutsche Oper), Daniel Barenboim (Lindenoper) und Albert Kost (Komische Oper), ohne Einbeziehung von Ballettdirektoren und Choreographen wie Richard Cragun oder Marc Jonkers. An diesem Punkt kommt erstes Mißtrauen auf: Könnte es sein, daß unter dem von Brunner mit Überzeugung getragenen Banner der Autonomie des Tanzes die Opernhäuser die ungeliebte Sparte abwickeln werden? Die mußten jetzt erstmals den Etat für die Ballette gesondert ausweisen und kamen auf 23 Millionen Mark. Es gibt noch kein Modell, wie zwischen den Opernhäusern und einem selbständigen BerlinBallett Aufführungen, die Nutzung von Probenräumen, Orchestern, Bühnenbildern usw. geregelt werden.

Doch immerhin hat Brunner dem Kultursenator schon den Zahn gezogen, man könne erst die Infrastruktur schaffen und dann die Spitzenkunst einkaufen. So betonte der erfahrene Intendant, daß sich Organisationsformen an den künstlerischen Bedürfnissen orientieren müßten. „Die Choreographie ist das Wichtigste. Ich trete für den Tanz und die Tänzer an“, gab er sich kämpferisch. Die Namen der Choreographen, deren Interesse an Berlin er schon vorsichtig abklopft, wollte er aber nicht verraten. Konkret wurde der neue Berater bisher nur, wo es sich um Nebenschauplätze des Problems handelte.

Sympathie trägt ihm die Idee einer Stiftung ein, die Tänzer nach ihrem Abschied von der Bühne drei Jahre lang unterstützt, um außerhalb der Ballettsäle Fuß zu fassen. Solch soziale Fürsorge erscheint auch bitter notwendig vor dem Hintergrund, daß auf dem Wege der Umstrukturierung zum BerlinBallett die derzeitige Zahl von 165 Tänzern auf 120 reduziert werden soll.

Brunner schwebt auch die Gründung eines kleinen Museums des expressionistischen Tanzes vor oder die Rekonstruktion von Mary-Wigman-Stücken; überhaupt glaubt er die Ballettgeschichte Berlins als ein identitätsstiftendes Kapital aktivieren zu können. Dabei übersieht er vielleicht ein spezifisches Problem der Berliner Kultur, die schon zu oft und zu lange vom Mythos des Vergangenen gezehrt hat. Um fürs Ballett ein neues Publikum aus Kunst-, Musik- und Theaterinteressierten zu gewinnen, braucht es mehr als postmodernes Recycling. Katrin Bettina Müller