Projekt Kassenknüller

Arm, aber glücklich: „Geheimes Tibet“, „Flammen der Vorzeit“ und andere Abenteuerfilme der dritten Art – Anmerkungen zur NS-„Kulturfilm“-Reihe im Eiszeit Kino  ■ Von Klaus Farin

1938 brach in Berlin eine Expedition auf, das geheimnisvolle Land der Lamas zu erkunden. Die Forschergruppe unter der Leitung des Hamburger Naturwissenschaftlers Dr. Ernst Schäfer war eineinhalb Jahre unterwegs, überquerte den Himalaya und erreichte schließlich, sieben Jahre vor Heinrich Harrer und 47 Jahre vor Helmut Kohl, ihr geheimes Ziel, Tibets Hauptstadt Lhasa. Illegalerweise, wie der Sprecher süffisant anmerkt, denn die britische Kolonialmacht hatte den Deutschen die Einreisegenehmigung verweigert.

„Geheimes Tibet“ ist auf den ersten Blick nichts weiter als ein schöner, spannender Abenteuerfilm, eine farbige Schwarzweiß- Doku über eine Odyssee durch eine großartige Tier- und Naturwelt: Wir werden Augenzeugen, wie mutige Forscher sich durch schlangenbewehrte Dschungel kämpfen, bei der Übersteigung des „Throns der Götter“ Höhenunterschiede von mehreren 1.000 Metern und drei Klimazonen überwinden, wie Maultiere auf schmalen Stegen reißende Fluten überqueren und gefährliche Moore nach den Beinen von Tier und Mensch greifen. Der für heutige Ohren eine Spur zu pathetische, bisweilen atemlos den Ereignissen hinterherhechelnde Sprecher und die opulente Musikdramaturgie bauen geschickt Spannungsbögen auf. Dann wieder liefern sich vergnügte Forscher Schneeballschlachten, trinken die wohlbehalten im „Verbotenen Land“ Eingetroffenen mit freundlichen Eingeborenen Bier und undefinierbare Milchprodukte.

Beim Neujahrsfest – mit seinen feurigen Tänzern, schaurigen Maskeraden und verwegenen Reiterspielen ein Höhepunkt des Films – kommt gar Karl-May-Flair auf. Der Grundton ist aufmerksam, neugierig, voller Achtung für die exotischen Bräuche und Kulte der „naiven Wilden“ (arm, aber glücklich) – keine andere Haltung, als man sie zur Genüge aus den ethnographischen Filmen, Schulbüchern, christlichen Sammlungen und wissenschaftlichen Werken der sechziger und siebziger Jahre über die „Naturvölker“ Afrikas und Asiens kennt. Krude Nationalismen oder rassistische Herabwürdigungen sucht man vergeblich.

Hakenkreuze am Sattel des Maultiers

Nur wenige Sequenzen weisen den aufmerksamen Beobachter eher zufällig darauf hin, daß es sich bei „Geheimes Tibet“ um eine Auftragsdokumentation (die einzige sogar) der SS handelt – etwa, wenn die Kamera stolz „Eingeborene“ zeigt, die Hakenkreuze („das Zeichen unvergänglichen Glücks“) in ihre Teppiche knüpfen, oder wenn gelegentlich eine am Sattel des vorangehenden Maultiers befestigte Hakenkreuzfahne im Bild aufleuchtet.

„Geheimes Tibet“ ist kein primitiver Propagandafilm und gerade deshalb ein Schlüsselwerk zur Rassenpolitik der Nazis: Die Expedition sollte Spuren des sagenumwobenen Atlantis finden und damit den wissenschaftlichen Beweis für die Existenz einer uralten „arischen Hochkultur“ erbringen, deren Wiege nach der Mythologie der Nazis in Tibet stand. So gehörte auch ein „Rassenkundler“ dazu, der auf der Suche nach den genetischen Erben von Atlantis Schädelvermessungen durchführte; und der so freundlich mit den Tibetern schäkernde Expeditionsleiter Dr. Ernst Schäfer war auch SS-Untersturmführer und Mitarbeiter des vom Reichsführer SS Heinrich Himmler 1935 gegründeten Forschungsinstituts „Ahnenerbe“. Dieses stufte die Tibeter als „rassisch Verwandte“ ein, die mit Hilfe der Forscher für den Kampf gegen die Briten und die „bolschewistischen Untermenschen“ in der UdSSR als Verbündete gewonnen werden sollten.

Diese Informationen fehlen freilich im Film selbst, denn seine Funktion war eine andere: „Geheimes Tibet“ sollte zum Kassenfüller werden und so eine weitere Tibet- Expedition finanzieren. Und er sollte den Boden bereiten für die völkischen Mythologien der Nazis, den Wahn von der Herrenrasse. Das gilt auch für die anderen im Begleitprogramm zu Rüdiger Sünners Dokumentation „Schwarze Sonne“ gezeigten NS-Kulturfilme wie „Deutsches Volkslied“ (von 1942), „Flammen der Vorzeit“ (1934) oder das Fragment „Germanen gegen Pharaonen“ (1939), eine mystische Dokumentation mit Spielszenen, für die sogar mit viel Aufwand die Kultanlage von Stonehenge rekonstruiert wurde.

Vieles wirkt heute unfreiwillig komisch

Es sind zum Teil sehr clever inszenierte, pädagogische Erbauungsfilme, die zumeist bewußt auf platte Antisemitismen verzichten und statt dessen die (zukünftigen) Mitglieder der „Volksgemeinschaft“ mit einem positiven Mythos von der rassischen Überlegenheit arischer Monokulturen zusammenzuschweißen versuchen. Aus der Distanz eines halben Jahrhunderts wirkt vieles davon nur unfreiwillig komisch, aufgrund des hohen Pathosgehalts so lächerlich, daß sich nicht nachvollziehen läßt, was an diesen Filmen so brisant sein soll, daß sie für Jugendliche unter 18 Jahren immer noch verboten sind.

Doch kaum lehnt man sich entspannt zurück, schrecken einen Bilder und Ansichten wieder auf, die wirken, als wären sie versehentlich aus einer aktuellen TV- Dokumentation hineingerutscht.

„Geheimes Tibet“, heute und Sonntag, jeweils 18.30 Uhr; heute abend wird Rüdiger Sünner eine Einführung geben und sich den Fragen des Publikums stellen.

Dienstag und Mittwoch, jeweils 18.30 Uhr: „Germanen gegen Pharaonen“ / „Flammen der Vorzeit“ / „Altgermanische Bauernkultur“ / „Wir wandern mit den Ostgermanen“ / „Deutsches Volkslied“. Zu den Vorführungen gibt es jeweils eine kurze historische Einführung.

Außerdem läuft vom 29.1. bis zum 4.2. noch Rüdiger Sünners Film „Schwarze Sonne“ (siehe taz vom 2.1.1998). Eiszeit Kino, Zeughofstraße 20 (Kreuzberg)