Durchwursteln ohne ein Wort Deutsch

■ Wie umgehen mit mangelnden Deutschkenntnissen von türkischen Kindern? Deutsche Sprache als Voraussetzung für Integration

Ausgerechnet zum Ende des Ramadans, für muslimische Familien eigentlich ein Grund zum Feiern, kamen gestern Tausende Schüler in Berlin mit einem Zeugnis nach Hause, das eine Versetzung in weite Ferne rücken läßt. Die Lage ausländischer Jugendlicher ist nach wie vor desolat: Jeder dritte verläßt die Schule ohne Abschluß, ein weiteres Drittel mit Hauptschulabschluß. Mangelnde Deutschkenntnisse, soweit ist man sich wohl einig, sind die wesentliche Ursache dafür.

Nicht einig ist man sich, wie man dem begegnen soll: Die einen fordern seit Jahren ohne nennenswerten Erfolg mehr muttersprachlichen Unterricht, um über die Identität das Sprachvermögen der Kinder zu stärken, die anderen setzen auf die deutsche Sprache als Integrationskonzept.

Die Mitarbeiter der Schöneberger Kifrie-Etage, die seit sieben Jahren Hausaufgaben- und Fördergruppen vor allem für türkische Schüler anbieten, haben sich entschieden: „Deutsch ist die Grundvoraussetzung für Integration“, sagt der Leiter Eberhard Schwartz, der pünktlich zur Zeugnisvergabe Mitarbeiter, Eltern, Lehrer und Schüler zur Diskussion eingeladen hatte. Seine Kollegin Derya Ulus pflichtete ihm bei und sieht ein doppeltes Problem: „Viele haben doch überhaupt keine Muttersprache mehr. Sie haben sich eine Umgangssprache angeeignet, mit der sie in der Türkei ausgelacht werden.“

Das Konzept, die Schüler intensiv zu betreuen, ihnen aber auch Pflichten abzuverlangen – zum Beispiel die, Deutsch zu sprechen –, hat sich auch aus Lehrersicht bewährt. „Als Emre in meine Klasse kam, konnte er sich kaum einbringen und war sehr schüchtern“, erzählte seine Lehrerin Heide Merlin, „jetzt ist er einer der muntersten und kann so gut lesen, daß er sich sogar Bücher ausleiht.“

Die Sozialpädagogin Demet Erciyaz beobachtete, daß „gerade in Berlin immer mehr Kinder kaum Deutsch sprechen, wenn sie in die Schule kommen.“ Dann beginnt ein Teufelskreis, an dessen Ende das Scheitern steht – oft dann, wenn ein Ausbildungsplatz gesucht wird.

Den Eltern fallen die Sprachdefizite nicht einmal auf, weil sie es selbst auch nicht besser können; die Fördermittel sind knapp und die Lehrer überfordert mit Klassen, in denen die Umgangssprache Türkisch ist. Alle wurschteln sich so durch. In Bezirken wie Kreuzberg könne man „durchkommen ohne ein Wort Deutsch“, sagt Demet Erciyaz, „bis es um die Ausbildung geht“.

Daß für die Bildungschancen aller vermutlich einiges getan wäre, wenn Kinder unterschiedlicher Herkunft und Schichten gleichmäßiger verteilt wären, ist weitgehend Konsens. Protest erntete aber ein Vorschlag aus den Reihen der CDU, ausländische Kinder auf Schulen anderer Bezirke zu verteilen. Was aber würde wohl passieren, wenn man die deutschen Kinder nach Kreuzberg verteilen würde? Jeannette Goddar