Als die Bilder das Weglaufen lernten

Der Fernseher als Setzkasten: Sabine Christiansen redet mit jeweils zu vielen Gästen über jeweils zu wenig Thema. Eine Bilanz von vier Wochen „Sabine Christiansen“ (wieder am So., 21.45 Uhr, ARD)  ■ Von Benjamin v. Stuckrad-Barre

Das Geschrei nach der Premiere war groß, kein Wunder, schließlich war reflexartig schon vorher Luft geholt worden. Ganz normal die Vorwürfe, mit denen jeder Moderator einer neuen Show beworfen wird: Die Show paßt nicht zum Moderator, ist dies nicht, ist allerdings das auch nicht, (Fisch/ Fleisch oder auch Politik/Unterhaltung) außerdem – wie sieht denn das Studio aus und warum überhaupt und hätten die nicht mal vorher. Das Brausen ist zunächst nichts weiter als Indikator dafür, daß der Start bemerkt wurde.

Pawlowsch auch das Gegenfeuer: Man sei schon sehr zufrieden, obwohl es gewiß noch Nachbesserungsbedarf gebe beziehungsweise „Entwicklungs- und Optimierungsmöglichkeiten“ (NDR-Fernsehchef Jürgen Kellermeier), aber wo gebe es den nicht. Die dezidierte Sachdiskussion eröffnete in gewohnt abstruser (dabei elementarer!) Manier die Bunte in einem offenen Brief an Sabine Christiansen: „Wer hat Ihnen eigentlich diese Hose ausgesucht, die sich bei der Schlußmoderation an den Waden festsetzte und bis zum Schritt Falten warf?“

Die Sendung verwirrte Seher und Moderatorin

Ist es fair und sinnvoll, eine Sendung sich tatsächlich erst mal warmlaufen zu lassen, bevor man sie dann zersägt, so muß natürlich erlaubt sein, von Anfang an die Hose im Blick zu haben, zumal bei einer Dame, die wir und die Bunte bis dahin immer nur beinlos gesehen hatten. Ab Januar dann auch kopflos: Die erste Sendung war eine für Moderatorin und Zuschauer mindestens gleichermaßen verwirrende Art der Durchlaufprobe. Mit acht Gästen saß Frau Christiansen herum und erörterte „1998 – Wechselfieber“.

Eine überforderte Moderatorin stakste durch den Gästeauflauf gehetzt von einer Sitzecke zur nächsten und machte den Fernseher zum Setzkasten: Über „Kultur“ sprach sie mit Christiane Hörbiger und Daniel Barenboim, später dann aber über „Politik“ mit Wolfgang Schäuble und Heide Simonis, außerdem über „Wirtschaft“ mit dem zugeschalteten Hans-Olaf Henkel und einem obligatorischen Jungunternehmer-Streber. Komplettiert wurde der hölzerne Reigen durch einen unmotiviert kaspernden Matthias Beltz, der wohl das Element „Satire“ darstellen sollte.

Da hatte sich eine Redaktion eine Menge vorgenommen und die Moderatorin las während der Antwort gut sichtbar ihre nächste Frage nochmal durch (summte dabei zustimmend), so daß keine Gespräche, sondern bloß Statementsalven ertönten. Immerhin die Quote stimmte, war mit 4,6 Millionen Zuschauern sogar ein großer Erfolg.

Allerdings wurden vom „Tatort“ 6,1 Millionen Zuschauer übernommen, der „Kulturreport“ kam hernach bloß noch auf 1,6 Millionen; das Fortscheuchen von – so gerechnet – 4,5 Millionen Zuschauern während der und durch die Sendung, das war die andere Lesart. Ging also in die Hose, und die saß noch nicht mal!

Die Hose sei noch das kleinste Problem, zitierte die Bunte Redaktionskreise. Am 11. Januar war dieses kleinste Problem so denn auch gelöst, die Hose saß, der ganze Rest blieb unverändert diffus: Das Thema „Kleine Sportler – große Geschäfte“ war weder aktuell zwingend noch aus sich heraus spannend, und Stargast Claudia Nolte war Claudia Nolte. Tja. Dazwischen erste Reportageansätze: Als die Bilder das Weglaufen lernten.

Üble Ahnung: Waren Christiansens Interviews vormals bei den „Tagesthemen“ vor allem deshalb nicht unangenehm aufgefallen, weil sie so kurz waren? Grundsätzlich verdichten sich nach nunmehr vier Sendungen folgende Beobachtungen zu Wesensmerkmalen der Sendung (oder „Show“?): – Frau Christiansen redet, talkt mit jeweils zu vielen Personen über jeweils zu wenig Thema. Dabei verlieren alle den Überblick, inklusive der Moderatorin.

Das Problem einer solch monothematischen Sendung, die zudem den Anspruch absoluter Wochenaktualität hat, ist strukturimmanent: Will sie wochenaktuell sein, müssen die Ereignisse bis Samstagabend am Sonntag abend erfaßt und fortgedacht sein. Wenn dies jedoch erhellend und hintergründig geschehen soll, wäre es nicht schlecht, damit am Montag schon zu beginnen.

Und wohl deshalb sind die Filmbeiträge verblüffend unmotiviert. Plakative Tricksereien vom Musikfernsehen der Endachtziger, die man nicht einmal bei „Monitor“ mehr sieht, verwundern ebenso wie die willkürliche Plazierung der Filme innerhalb der Sendung. Warum gibt es wann einen Film? Wie wäre es mit Rubriken?

Eine Stunde ist ja sowieso lang, fühlt sich aber noch länger an, wenn Aufbau und Dramaturgie einer Sendung extrem zufällig erscheinen. Und so ist das parallel laufende, na ja: gehende Gequatsche im Turm für den politisch interessierten Zuschauer am Ende informativer. Aufgrund von Christiansens Vorleben allerdings bequemen sich Gäste ins Studio, die zwar gerne reden, jedoch beileibe nicht mit jedem – Joschka Fischer, Wolfgang Schäuble kommen dabei ungeschoren davon. Als am 18. Januar ein hochspannendes und amüsantes Gespräch zwischen Fischer und Guido Westerwelle aufflammte, störte bloß – die Moderatorin. Die plapperte hilflos dazwischen und wurde von den beiden mit zunehmender Rigorosität zurechtgewiesen. Unvergessen eine ungewollte Meisterleistung der Regie: die sprachlose Christiansen umrahmt von links und rechts ringenden Händen aus dem Nichts – es waren die der krakeelenden Politiker. „Damit müssen Sie rechnen, wenn sie Politiker einladen, es ist Wahljahr, liebe Frau Christiansen“, belehrte Fischer sie abschließend. War das peinlich.

Am letzten Sonntag schließlich sah sogar Alice Schwarzer sympathisch und sachlich aus, neben einer Christiansen, die weder Gesprächsleitungs-Autorität noch Objektivität erahnen ließ. Als alle schrien, schrie sie mit, als man sich einig war, lächelte sie beseelt. Am Ende war sie am Ende.

Jetzt geht es weiter. Aber wie?

Mit der Quote ging es allerdings wieder etwas aufwärts, nachdem am 18. Januar der „König von St.Pauli“ das Wasser abgegraben hatte und mit 2,8 Millionen Zuschauern ein erstmals bedrohlicher Wasserstand gemessen wurde. Letzte Woche waren es 3,5 Millionen. Es geht weiter, aber wie?

Betreut wird die Sendung von der Unterhaltungsredaktion, beworben mit dem tot gehofften Schlagtotwort „Infotainment“. Themen und Gäste sind politisch, also „Info“, und diese Richtung scheint auf jeden Fall gangbarer als Versuche, Unterhaltung oder gar Kultur einzubinden, also „tainment“. Ob durch einen wenig eloquenten Beisitzer aus der Lindenstraße („Ich hätte gerne den Herrn Fischer als Bundeskanzler, ich sag's nur mal so“ sagte nur mal so Herr Rampelmann alias Olaf Kling) oder einen Kabarettisten, der, wie Beltz, am Ende monologisiert und von den Mitdiskutanten zu Recht gütig bis fragend angeschaut wird wie ein Pausenclown.

An diesem Sonntag geht es um Bill Clinton. Bei dem ist die Hose das größte Problem, der hat's gut.