Für ein Ende der Gewaltspirale

■ Die Schießerei zwischen Türken in Ottensen ist auf einen „klassischen Machtkampf“verfeindeter Parteien zurückzuführen

„Hier geht es weder um einen Bandenkrieg, noch um Schutzgelderpressung, sondern um einen klassischen Machtkampf.“Erdem K. * weiß, wovon er spricht. Immerhin ist er ein Führungskader der verbotenen türkischen Partei „Dev Sol“(Revolutionäre Linke). Die Schießerei, die am vergangenen Donnerstag mitten in Ottensen stattfand, ist für ihn ein weiteres Zeichen für die zunehmende Gewalttätigkeit zwischen Dev Sol-Anhängern und Parteigängern der konkurrierenden „DHKP-C“(Revolutionäre Volksbefreiungs-Front).

Donnerstag, Bahrenfelder Straße, 16.13 Uhr: Fünf Dev Sol-Anhänger wollen für ihre Organisation in Läden Spendengelder sammeln, als sie auf zwei Mitglieder der verfeindeten DHKP-C treffen. Wer zuerst die Pistole zückt, ist derzeit noch unklar und Gegenstand der Polizeiermittlungen. Der 31jährige DHKP-C-Anhänger Hidir M. wird durch drei Schüsse niedergestreckt. Ein 19jähriger Dev Sol-Gefolgsmann wird als mutmaßlicher Schütze festgenommen.

Der zufällig anwesende Staatsschutz erklärt danach: „Bandenkrieg um Schutzgelder“. Polizeisprecher Burhardt Rosenberg kann zum Anlaß der Schießerei wenig sagen: Die Betroffenen verweigern die Aussage, außerdem habe die Polizei zu „solchen Kreisen normalerweise kaum Zugang“. Rosenberg lapidar: „Streitigkeiten, das kommt in den Kreisen öfter vor.“

Erdem K. hingegen meint, die Schießerei könne nur im Affekt passiert sein. „Wenn das geplant wäre, macht man das nicht auf der belebten Bahrenfelder Straße zur Hauptverkehrszeit.“Bei der angeblichen Schutzgelderpressung handele es sich um eine ganz normale Spendenkampagne, die derzeit europaweit laufe. Dev Sol-Anhänger würden zu diesem Zweck türkische Ladenbesitzer aufsuchen und um Spenden buhlen. Anhänger der DHKP-C versuchten ihrerseits, auf die Geschäftsleute einzuwirken, damit diese nichts spendeten.

Die Auseinandersetzungen zwischen Dev Sol und DHKP-C haben inzwischen eine lange Geschichte und kreisen vornehmlich um zwei Führungspersonen der Dev Sol: Dursun Karatas – der Anfang der 90er Jahre offizieller Boß der verbotenen Dev Sol war – und Bedri Yagan – seinen Stellvertreter. Beide saßen gemeinsam im Gefängnis, beide wurden 1989 von einem Dev Sol-Kommando befreit. Karatas ging nach Deutschland, Yagan in den Nahen Osten. Nachdem die türkische Polizei Anfang der 90er Jahre in Istanbul insgesamt 25 Führungskader der Dev Sol erschossen hatte, munkelte man in Parteikreisen: Verrat. Karatas wurde als Dev Sol-Chef entmachtet, mobilisierte seine Basis und forderte eine Bestrafung der Putschisten. 1993 wurde daraufhin auch Bedri Yagan in Istanbul von der Polizei erschossen.

Die Dev Sol-Spaltung war perfekt. Dursun Karatas gründete die DHKP-C. In der Folge kam es im Streit um die Gefolgsschaft europaweit immer wieder zu Entführungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen. Seit April vergangenen Jahres ist dies auch in Hamburg zu spüren: Egal, ob im Lessingtunnel, auf dem Hein-Köllisch Platz oder in der Großen Bergstraße, immer wieder fielen Schüsse. Als Dev Sol-Kader, das in Deutschland im Untergrund lebt, appellierte Erdem K. jetzt an die türkische Linke, diese „Gewaltspirale“endlich zu beenden. Immerhin sei Europa für die Aktivitäten der Dev Sol längst nicht mehr interessant. „Der heiße Kampf“, so seine Meinung, „muß in der Türkei geführt werden.“

Magda Schneider

* Name wurde von der Redak-tion geändert