Mission: Spurensicherung

In Berlins alter Akademie der Künste suchen Klaus Maria Brandauer und Esther Vilar nach Hitlers Baumeister Albert Speer  ■ Von Harry Nutt

Es ist alles noch da. Die Arrestzelle der DDR-Grenzwache und die Spezialtür, durch die Hitler immer kam, um mit Albert Speers gigantischen Modellen des Welthauptstadtprojekts Germania zu spielen. Im Jahre 1937 hatte Hitler die Akademie der Künste für Albert Speers Generalbauinspektion (G.B.I.) zweckentfremdet. Später hatten die DDR-Grenztruppen hier Zellen für festgenommene Republikflüchtlinge. Klaus Maria Brandauer, Regisseur und Schauspieler des Esther-Vilar-Stücks „Speer“, ist vom Haus am Pariser Platz Nummer 4 in der Nähe des Brandenburger Tores fasziniert. „Der Blick hinaus, wo früher die Mauer stand, das Liebermann- Haus, Erinnerungen an Besuche bei Heiner Müller. Gott, was mir alles in den Sinn kommt.“ Der authentische Raum entfesselt Gestaltungsphantasien.

In Esther Vilars Zweipersonenstück „Speer“ spielt Brandauer den Stasi-Mann Hans Bauer, der dem 75jährigen Albert Speer (Peter Simonischek), Hitlers Architekten, ein attraktives Angebot unterbreitet. Mit dem sprichwörtlichen Organisationstalent, das Speer von 1942 an als Reichsminister für Rüstung und Munition auf Hitlers Kriegsmaschinerie verwandte, soll sich der alternde Speer, man schreibt das Jahr 1980, im maroden Staatsapparat der DDR nützlich machen.

So geheimnisvoll wie der Ort sind die Aufführungsumstände der Produktion. Lediglich zehn, schon seit einiger Zeit ausverkaufte Aufführungen sind vorgesehen. Das Kontingent an Pressekarten war begrenzt. Nicht berücksichtigten Kritikern empfahl die Produktionsfirma schroff, sich die 3sat- Übertragung am Samstag abend anzusehen. Der Kulturkanal bittet zum Theaterabend – schaurig, historische Patina und Talkshow inklusive.

Theater im Fernsehen, die üblichen Einwände. Das Bühnengespräch zwischen Bauer und Speer entfaltet an keiner Stelle die intime Spannung, die beispielsweise Romuald Karmakar in seinem Film „Der Totmacher“ aus Text und dem Spiel Götz Georges Bild für Bild und Wort für Wort zum Vorschein gebracht hat. In die geheime Zusammenkunft zwischen Bauer und Speer drängen sich nach wenigen Minuten die ersten Zuschauerbeine und -hinterköpfe. Die Akteure werden beobachtet. Das ist denn auch der Clou des Stücks. Bauer wirbt Speer nur zum Schein für künftige Dienste am Sozialismus an. Die Kameras laufen mit, für uns Fernsehzuschauer und als Grundeinfall in Esther Vilars Stück. Bauer ist in Wirklichkeit Staatsschauspieler, der Speer als typischen Repräsentanten der internationalen Funktionselite vor- und überführen will. Hitlers Baumeister und Minister wäre heute vermutlich ein Topmanager.

Esther Vilar interessiert sich nicht wirklich für Speer und wie er im Dienste einer paranoiden Macht funktionierte. Schon nach wenigen Sätzen und Szenen ist Esther Vilars Speer-Bild ausgepackt: ein anpassungsfähiger, technokratischer Macher, der sich immer auf die richtige Seite zu retten weiß. In der anschließenden Talkshow zum Stück fallen Worte wie Globalisierung und Managerdefizit, und Moderator Ulrich Wickert fragt in die Runde, ob nicht ein wenig mehr Gemeinsinn und Gesinnungsethik künftig helfen könne, das Schlimmste zu vermeiden. Der frühere Bundesbahnchef Heinz Dürr verdiente Anerkennung für seine mutige Offenheit: Als Reichsbahnchef hätte vermutlich auch er die Züge nach Auschwitz pünktlich abfahren lassen.

Der Mythos Speer, der in den sechziger Jahren und erst recht nach der Veröffentlichung seiner „Erinnerungen“ (1969) als öffentlichkeitskompatible Vorstellung vom guten Nazi funktionierte, kehrt nun als geläuterter Schulddiskurs wieder. Verdächtigt wird das Böse in uns. Ganz nah ran an Speer wollte Esther Vilar, um den Speer in uns zu suchen. Dabei hat sie ihn für sich schon zu Beginn des Stücks gefunden. Der Rest ist die Hingabe an die geheimnisvolle Aura des Ortes. „Wir sind vielleicht sogar eine Art Spurensicherer“, interpretiert Brandauer seine sichtliche Begeisterung für den ausgefallenen Theaterort. „Ich war ein paarmal in diesem Raum, und ich habe immer gedacht: Irgend etwas muß sprechen, irgendein Atem muß sein in diesem Raum.“ Für diesen Abend war es die Wickertsche Moderation und die wie üblich überbesetzte Expertenrunde. Schwer vorstellbar, daß Vilars Stück künftig ohne sie aufgeführt werden kann. Wiederholungen auf 3sat sind garantiert.

Esther Vilar: „Speer“. Transit- Verlag, Berlin 1998, 128 S., 28 DM