„Furchtbarer Rückschlag“ für Junkies

Das novellierte Betäubungsmittelgesetz bringt dramatische Veränderungen in der Substitution. Beim Methadon werden die Bestimmungen gelockert, dafür bei Kodein verschärft. Ärzte und User sind verunsichert  ■ Von Manfred Kriener

Berlin (taz)– Die Verschreibung von Heroin-Ersatzstoffen unterliegt seit gestern neuen Vorschriften. Nach einer langen Hängepartie ist das Betäubungsmittelrecht im Januar doch noch novelliert worden – mit gravierenden Änderungen für Süchtige, Drogengebraucher und Ärzte. Die wichtigsten: Die Vergabe von Methadon wird erleichtert, die Verschreibung von Kodein, dem zweiten wichtigen Ersatzstoff, wird dagegen streng reglementiert.

Ärzte und Selbsthilfegruppen befürchten, daß viele Süchtige wieder auf der Straße und im Elend landen werden. Doch die neuen Vorschriften sind in ihrer Auslegung umstritten. Die Betroffenen sind verunsichert, niemand weiß so richtig, wie es weitergeht.

Die Novellierung war ein Dauerbrenner der deutschen Drogenpolitik: Immer neue Entwürfe der 10. Änderung „betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften“ kursierten in Bonn, wurden verworfen, neu formuliert, abermals verworfen und erneut umgeschrieben. Was am Ende herauskam, war ein zäher Kompromiß zwischen den liberaleren Vorstellungen der SPD- regierten Bundesländer und der stur auf Strafverfolgung konzentrierten Drogenpolitik der Bonner Koalition.

Die Länder erreichten bei der Methadon-Vergabe eine Aufweichung der Bestimmungen für die etwa 20.000 mit diesem Stoff substituierten Junkies in Deutschland. Entscheidend ist die Formulierung im neuen Paragraph 5, wonach Methadon zur „Behandlung der Opiatabhängigkeit“ und zur „Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes“ eingesetzt werden darf. Der Bremer Drogenbeauftragte Ilja Michels sieht darin eine „Öffnung der Indikation“. Bisher galt in vielen Bundesländern noch immer die alte Sargdeckelindikation. Wer Methadon bekommen wollte, mußte entweder schwanger, HIV-infiziert oder todkrank sein.

Die zweite wichtige Erleichterung sind die neuen „Take- Home“-Vorschriften. Substituierte können künftig frühzeitiger – nach sechsmonatiger Behandlung – ihre Ration für maximal eine Woche mit nach Hause nehmen und sie dort eigenverantwortlich einnehmen. Gegenüber dem täglichen Besuch beim Arzt, der die Einnahme beaufsichtigt, bedeutet dies eine große Erleichterung, vor allem wenn die Patienten berufstätig und sozial integriert sind, was ja gerade angestrebt wird.

Die Erleichterungen beim Methadon wurden im Gegenzug mit einschneidenden Verschlechterungen beim Kodein erkauft, die der Stuttgarter Arzt und Substitutionsexperte Albrecht Ulmer als „furchtbaren Rückschlag“ bezeichnet. Der bisher frei verschreibbare Hustenlöser war eine letzte straffreie Nische für geschätzte 30.000 Personen, die den mit Heroin chemisch verwandten Stoff stark verdünnt einnehmen und so in aller Anonymität mit ihrer Sucht leben können – ohne verunreinigtes Heroin zu spritzen, ohne Beschaffungskriminalität und das Elend der Straße. Es war die graue, ungeregelte, vom Staat aber stillschweigend tolerierte Substitution. Untersuchungen belegen, daß 80 Prozent der Kodein- Patienten ein unauffälliges Leben führen mit Familie, Arbeit und sozialem Umfeld. Auch Bankdirektoren, Anwälte und Lehrer nehmen den Hustensaft. Für sie brechen jetzt neue Zeiten an, denn:

– Der Heroin-Ersatzstoff fällt künftig unter das Betäubungsmittelgesetz und soll nur noch „in anders nicht behandelbaren Ausnahmefällen“ verschrieben werden. Mittel erster Wahl ist Methadon.

– Jede Substitution mit Kodein muß künftig gemeldet werden.

– Bei der Kodein-Verschreibung gelten ansonsten dieselben Regeln und Zulassungsbegrenzungen wie beim Methadon.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Monika Knoche, sieht in der Neuregelung eine „Gefährdung von Süchtigen“, die „in Lebensgefahr“ gebracht und aus ihrer geschützten Anonymität gerissen würden. Eine erfolgreiche Suchtkrankenhilfe werde faktisch mit Verbot belegt. Auch die Selbsthilfegruppen der Junkies, die Deutsche Aids-Hilfe und Drogenexperten von Hamburg bis Stuttgart kritisieren die Bonner Neuregelung, die unter dem Druck Bayerns zustande kam. Gundula Barsch, Drogenreferentin der Deutschen Aids-Hilfe, warnt allerdings vor Panikreaktionen. Zunächst gelte eine Übergangsfrist bis zum 1. Juli, in der nach praktikablen Lösungen gesucht werden könne.

Drogenarzt Albrecht Ulmer, gleichfalls vehementer Kritiker der BTM-Neufassung, sieht allerdings trotz der Verschlechterungen immer noch Möglichkeiten, um weiter mit Kodein zu arbeiten. Ulmer stützt sich auf zwei Formulierungen der neuen Vorschriften. Dort ist zum einen von „Ausnahmefällen“ die Rede, die nicht näher definiert sind und damit Spielräume lassen. Zugleich heißt es im Paragraph 5, Absatz 3 über die Substitution, daß „der Stand der medizinischen Wissenschaft“ für die Verschreibung maßgeblich sei. Rein wissenschaftlich, da ist sich der Autor eines umfänglichen Kodein- Standardwerks sicher, sei Kodein ein gutes Substitutionsmittel. Die Ärzte dürften jetzt nicht kneifen und ihre Patienten im Stich lassen, fordert Ulmer. Sie müßten sich genau informieren, dann würden sie erkennen, daß man „mit dem Gesetz leben kann“.

Ausschlaggebend für das Verbot der freien Kodein-Verschreibung waren mehrere Todesfälle in Bayern. Hier zeigt sich die Tragödie einer ideologisch überlagerten Drogenpolitik: Weil die Methadon-Zulassung sehr restriktiv war, hatte gerade Bayern mehr Kodein- Patienten als jedes andere Bundesland. Die meisten bayerischen Ärzte waren aber im Umgang mit dem Hustensaft nie geschult worden. Anregungen für entsprechende Seminare wurden abgeblockt, um Kodein nicht noch hoffähiger zu machen. Ergebnis: Der Saft wurde oft in zu hoher Konzentration und als injizierbare Lösung verschrieben. Es wurde gespritzt, statt geschluckt, in zu hohen Dosen eingenommen, und es kam zu vermeidbaren Todesfällen.

Die selbstverschuldeten Kodein-Toten müssen jetzt als Begründung herhalten für die Verschärfung der Gesetze.