Geduldet – aber keine Sozialhilfe mehr

■ Vietnamesen, Bosniern und Kosovo-Albanern, die nicht freiwillig ausreisen, soll die Sozialhilfe gestrichen werden. Das will der Bundesrat am Freitag beschließen. Seine Ausschüsse haben der Gesetzesänderung schon zugestimmt

Berlin (taz) – In den Staatskanzleien der Bundesländer wird ab heute über eine Gesetzesinitiative beraten, die bis zu 250.000 Flüchtlinge in Deutschland um ihren Lebensunterhalt bringen könnte. Am vergangenen Mittwoch hatten Ausschüsse des Bundesrates für Gesundheit und Soziales sowie Inneres einem Vorschlag Berlins zugestimmt, wonach ausreisepflichtige und geduldete Ausländer keine Sozialleistungen mehr erhalten sollen, sofern ihre Ansprüche nicht „im Einzelfall unabweisbar“ sind. Als sogenannte unabweisbare Leistungen gelten nach vorherrschender Rechtsprechung nur eine Rückfahrkarte ins Herkunftsland sowie „Zehrgeld“ für die Heimreise. Die Ausschüsse empfahlen dem Bundesrat, auf seiner nächsten Sitzung am kommenden Freitag einer entsprechenden Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zuzustimmen (Bundesratsdrucksache 691/97). Dort wird auch die Sozialhilfe für Flüchtlinge geregelt, die sich nicht im Asylverfahren befinden.

Im einzelnen sieht der Entwurf vor, den betroffenen Ausländern das Recht auf Sozialhilfe, Wohngeld und medizinische Versorgung zu entziehen. Flüchtlingsinitiativen fürchten als Folge einen rapiden Anstieg von Not und Obdachlosigkeit. Sie kritisieren, daß von den Neuregelungen vor allem Familien mit Kindern betroffen seien. Der Gesetzentwurf ist eine verschärfte Variante eines Antrags, den das Land Berlin im September in den Bundesrat eingebracht hatte. Damals sollte Flüchtlingen die Sozialhilfe entzogen werden, wenn sie nicht über eine ausländerrechtliche Duldung verfügen. Sie gelten damit als ausreisepflichtig und sind im Sprachgebrauch von Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) „illegal“. „Wir können nicht alle ausreisepflichtigen Ausländer bis zum Ende ihrer Verfahren gegen die Bundesrepublik auch noch finanziell unterstützen“, hatte Schönbohm den Vorstoß begründet. Als Reaktion auf höchstrichterliche Rechtsprechung und auf Betreiben der Länder Bayern, Baden- Württemberg und Niedersachsen wurde der Berliner Vorschlag verschärft: Von Sozialleistungen sollen künftig auch Ausländer ausgeschlossen werden, die zwar den Status einer Duldung haben, aber nach Auffassung der Ausländerbehörden freiwillig ausreisen könnten.

Von dieser Definition wären voraussichtlich rund 200.000 bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland betroffen. Diese Bosnier stammen überwiegend aus dem Gebiet der heute serbisch besetzten Republika Srpska. Zwar erkennen die bundesdeutschen Ausländerbehörden an, daß dorthin eine Rückkehr kaum möglich ist, doch könnten sie sich statt dessen im Gebiet der bosnischen Föderation ansiedeln.

Die zweitgrößte Gruppe, die nach der neuen Regelung von Sozialleistungen ausgeschlossen würden, sind die etwa 50.000 Flüchtlinge, die zur albanischen Volksgruppe im Kosovo gehören und vor den dortigen serbischen Machthabern geflohen sind. Betroffen wären voraussichtlich aber auch ehemalige DDR-Gastarbeiter aus Vietnam sowie Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan.

Obwohl der Bundesrat am kommenden Freitag über die Beschlußempfehlung von Sozial- und Innenausschuß abstimmen soll, wissen selbst manche Regierungsparteien in den Ländern nichts von dem Gesetzentwurf. Brandenburgs SPD-Fraktionschef Wolfgang Birthler erfuhr durch einen Anruf der taz von der bevorstehenden Abstimmung. Das Stolpe-Kabinett war bereits bei der Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes im vergangenen Jahr das Zünglein an der Waage. Damals wurden die Sozialleistungen für betroffene Ausländer bereits um 20 Prozent gegenüber dem regulären Sozialhilfesatz gekürzt. Außerdem wurde die staatliche Unterstützung vorrangig auf Sachleistungen, etwa in Form von Essenspaketen, beschränkt. Marina Mai/Patrik Schwarz