■ USA: Die Diskussion um die Todesstrafe gegen Karla Faye Tucker
: Fürchterliche Rachsucht

Bei Redaktionsschluß stand noch nicht fest, ob der Begnadigungsausschuß dem Gouverneur von Texas die Umwandlung der Todesstrafe für die Mörderin Karla Faye Tucker in lebenslange Haft empfehlen wird. Nur diese Empfehlung hätte sie heute nacht vor der Giftspritze gerettet. Doch dafür spricht nicht viel.

Der Fall Karla Faye Tucker wäre nur einer unter vielen – 3.316 Männer und 49 Frauen sitzen in US- Gefängnissen im sogenannten Todestrakt –, wäre sie nicht eine Frau im traditionell patriarchalischen Texas und wäre ihre Reue nicht ein Medienereignis geworden. So wurde am Samstag abend die populäre TV-Interviewsendung „Larry King Live“ aus dem Todestrakt eines Gefängnisses in Texas ausgestrahlt. Hinter einer Glasscheibe sah man eine sympathisch wirkende Frau, die gefaßt über ihre grausige Tat und ihren bevorstehenden Tod redete. Sie berichtete von ihrer Erweckung durch Christus, über den Schmerz, den sie anderen zugefügt hat, und ihre Reue, über das Monstrum, das sie war, und den gewandelten Menschen, der sie ist. Amazing grace – wunderbare Gnade! Die himmlische Gnade aber, deren Karla Faye Tucker teilhaftig geworden zu sein glaubt, findet keine Entsprechung im irdischen Amerika.

Dieser Fall hat in den USA auch die Frage nach der Gleichbehandlung der Geschlechter auf die Tagesordnung gesetzt. Wenn Frauen zum Militär gehen und bestrebt sind, auch in Kampfeinheiten zugelassen zu werden, dann wäre Begnadigung aufgrund des Geschlechtes nur die Kehrseite der Benachteiligung von Frauen in anderen Lebensbereichen. Doch der Fall Tucker hat auch die Frage nach dem Sinn von Strafe überhaupt aufgeworfen. Ist sie Racheakt, Sühne, oder dient sie ausschließlich so rationalen Zwecken wie dem Schutz der Gesellschaft vor dem Verbrechen? Kann es ein irdisches Rechtssystem geben, das nicht mindestens einen matten Abglanz himmlischen Rechts spiegelt, das die Gnade zuläßt? Das Strafrecht und der Strafvollzug der meisten US-Bundesstaaten beantwortet diese Frage mit Nein. Es kennt und belohnt Reue und Besserung und ermöglicht die Rückkehr in die Gesellschaft. Karla Faye Tucker selbst wäre im Jahre 2003 eine Kandidatin für eine vorzeitige Entlassung, wäre sie nicht zum Tode verurteilt.

Der Fall Tucker hat die fürchterliche Rachsucht in grelles Licht gerückt, die Bestandteil der Rechtsauffassung der meisten Amerikaner ist. Und er hat den Widerspruch gezeigt, der zwischen der Praxis der Todesstrafe und dem christlichen Selbstverständnis der US-Gesellschaft klafft. Peter Tautfest