Hanfsamen gratis für Volk und Volksvertreter

■ Protest gegen das Hanfsamenverbot. Per Post geht eine Tüte an jeden Bundestagsabgeordneten

Berlin (taz) – Gegen das Hanfsamenverbot formiert sich der Widerstand. Eine „Drogenpolitische Guerilla“ will eine Tonne Samen – rund 40 Millionen Stück – unter das Volk bringen. Eine Tüte im Wert von 20 Mark soll an jeden Bundestagsabgeordneten gehen – nach französischem Vorbild. Dort hatten Kiffer Joints an die Mitglieder der Nationalversammlung verteilt. Bisher sind im Bundestag aber noch keine Hanfsamen angekommen.

„Die Aktion läuft gut an“, sagt Sandro, Sprecher der Drogenpolitischen Guerilla. „150 bis 200 Kilogramm sind schon weg.“ Sandro glaubt, in den nächsten vier Wochen die ganze Tonne loszuwerden – an jeden, „der etwas davon haben will. Der Kontakt zu uns läßt sich durch die Hanfmagazine herstellen.“ Über die Hintergründe der Drogenpolitischen Guerilla und ihre Sponsoren will Sandro nichts erzählen – schließlich kann der Verkauf von Samen seit dem 1. Februar mit Haft bis zu fünf Jahren bestraft werden. Nur so viel: Zum Teil stammen die Samen aus Restbeständen. Mitte Januar hatten Großhändler und Growshops noch Samen im Wert von mehreren hunderttausend Mark in ihren Lagern liegen.

Das Verbot der Samen bedroht die gesamte legale Cannabis-Kultur. Hanfmagazine, Growshops und Großhändler stehen vor dem Aus. Insider vermuten, daß rund 1.000 Arbeitsplätze und selbständige Existenzen in der Szene vernichtet werden. Zuletzt setzte die Branche rund 5 Millionen Mark jährlich um.

Versandhändler wie der Bremer Großhandel HGS haben rund 80 Prozent ihres Umsatzes mit den Samen gemacht. Geschäftsführer Thomas Weweck mußte schon zwei von fünf Mitarbeitern im Versand entlassen. Jetzt will er auf Anbauzubehör umstellen und in Holland verkaufen.

Von den rund 500 Growshops in Deutschland wird wohl die Hälfte schließen müssen. Die großen Läden in den Städten werden ihr Personal reduzieren, die kleineren in ländlichen Gebieten sind in ihrer Existenz bedroht. Sie hatten noch bis zu 50 Prozent mit Hanfsamen umgesetzt.

Nur mittelbar, aber nicht weniger hart trifft es die Hanfmagazine. Zeitschriften wie grow! oder das Hanfblatt finanzieren sich zum Großteil durch Anzeigen – die bisher Samenhändler und Growshops geschaltet hatten.

grow! etwa hatte zehn Mitarbeiter, wollte gerade einen elften einstellen; jetzt sind es nur noch fünf. Mitherausgeber Marcus van der Kolk: „Wenn nichts geschieht, machen wir nach den nächsten zwei Ausgaben dicht.“

Das Hanfsamenverbot wurde im vergangenen Herbst ins Betäubungsmittelgesetz eingebaut und vom Bundestag verabschiedet. Eine geschliffene Formulierung läßt auch künftig den Verkauf von Samen als Vogelfutter oder für landwirtschaftliche Zwecke zu.

Verboten sind die Samen nur, wenn sie in zählbaren Mengen abgegeben werden. Die keimfähigen, für den Cannabis-Anbau verwendeten Samen kosten schon pro Stück bis zu 20 Mark. Der Preis für unzählbare Mengen wäre demnach für die Mehrheit der Abnehmer wohl unbezahlbar.

Die Szene sucht jetzt nach Wegen, das Gesetz zu umgehen. So könnten Händler etwa wenige zählbare und keimfähige Samen unters Vogelfutter mischen. Sascha Borrée