Sterben. Und dann sehen wir weiter

■ Zen-Mönch Gregory Campbell las im Lichtgarten aus seinem neuen Buch

Links im Regal das große Reinkarnationsspiel „Karma und Gnade“, rechts im Bücherschrank „Das große Buch des Schamanismus. Der sanfte Weg zu Weisheit, Kraft und innerer Harmonie“und dazwischen, vor einer Tasse Lotusblütentee sitzend, der Zen-Mönch Gregory Campbell. Im Hintergrund traktierte ein Wasserspiel entgegen seiner eigentlichen Bestimmung kräftig die Nerven der fünf BesucherInnen, die in die Buchhandlung Lichtgarten gekommen waren, um von Campbell erzählt zu bekommen, wie man in der Hölle geheilt werden kann. Zumindest versprach diese interessante Auskunft der Titel seines neuen Buches: „In der Hölle heilen. Der City-Schamane über Leben, Tod und Extase“.

Die Krise: Dieses verdammte Ding ist einfach überall. Deshalb müßten, laut Campbell, Earth People, Tree People, Bird People und Native People ihr Bewußtsein verändern, um die Talfahrt ins Verderben zu stoppen und die tiefste Krise, die die Menschheit je gekannt hat, zu stoppen. Worin aber besteht die Krise?

Die Menschen haben, zitiert Campbell den alten Schamananen Paracelsus, den Weg der Tugend verlassen, den die Natur vorgezeichnet habe und stattdessen ein künstliches System von Irrtürmern aufgebaut. „Exakt das ist es“, sagte Campbell, und deshalb seien Globalisierung, Marktwirtschaft und Imperialismus über die Welt gekommen.

Die Lösung ist nur eine: „Selbstheilung als Weltheilung“. Und bei heißem Tee und feurigem Whisky Rimbaud lesen. Der habe nämlich systematisch all seine Sinne gründlich verwirrt und sei erst dadurch in der Lage gewesen, „die Verrücktheit Gottes zu schmecken.“Klingt plausibel. Und wenn es zudem die Welt rettet ...

Der Preis für authentische Extase, Urgrund aller Selbstheilungsprozesse, ist also hoch. Die westliche Welt schlage dabei den falschen Weg ein. Sie propagiere einseitig den Hedonismus und verdränge alle Quellen der Pein, unter ihnen vor allem den Tod. Sterben sei kein Fehler, sondern ein ekstatischer Prozeß. Folglich müsse, sagte Campbell, „das bewußte Sterben geübt werden“– und griff in ein prall gefülltes Regal der Buchhandlung,um das „großartige Werk 'Ich war klinisch tot. Der Tod war mein schönstes Erlebnis'“zu preisen.

Anschließend machte Campbell noch Werbung für ekstasefördernde Stoffe wie LSD, Opium und Extasy und kritisierte die KonsumentInnen von so ödem Zeug wie Nikotin und Koffein. Törnt nicht, bringt's also nicht.

Zum Abschluß wurden Prospekte verteilt: Sinnsuche und Selbstheilung in der Wildnis“, nur für Männer, nur für 1.500 Mark, oder „Schwitzhütte mit schamanischen Reisen“, in Bremen-Bassen. Zwei Handtücher sind selber mitzubringen.

Hinaus auf die eisigen Straßen, mit dem Fahrrad wieder zur Redaktion schliddernd. Wissend, daß das schönste Erlebnis noch bevor steht. Geil. zott