Transsylvanischer Blues

■ Márta Sébestyén zwischen Weltmusik und Folklore-Kitsch

Sanft gleitet das Flugzeug über die afrikanische Wüste. An Bord befindet sich Ralph Fiennes, alias Der Englische Patient. Aus dem Off ertönt diese glockenklare Stimme. Sie ist eindringlich, geht unter die Haut. Wohl selten hat eine Filmmusik eine so erhabene Aura verbreitet und sich auch über das Ende des Movies hinaus im Gedächtnis der KinobesucherInnen verankert. Márta Sébestyén lautet der Name hinter dieser Stimme. Im Vegesacker KITO ist sie jetzt zusammen mit ihrer Band, den „Muszikás“, aufgetreten.

Obwohl schon seit Jahren musikalisch aktiv, hat die gebürtige Ungarin nie große Hörerschaften erreicht. Ihre derzeitige Popularität verdankt sie alleinig dem Erfolg des Englischen Patienten. Doch Márta Sébestyén hat sich nicht korrumpieren lassen. Beständig geht sie ihren eigenen Weg, ungeachtet kommerzieller Zugeständnisse. Ihre Weltmusik speist sich dabei zumeist aus ungarischer Volksmusik. Aber auch Stücke aus Moldawien hat sie im Gepäck gehabt, traurige Liebeslieber mit spärlicher Instrumentierung. Typische Puszta-Folklore und Zigeunerromantik, die geneigte Ungarn-BesucherInnen vor allem aus den Hotelbars vor Ort kennen, sind ihr ein Greul: Sie versteht sich eher als Enkelin Béla Bartóks, jenes grandiosen Komponisten, der sich unter anderem als Volksliedforscher einen Namen gemacht hat. Auch Márta Sébestyén geht es um die Einbeziehung von Folklore. Ihre Musik ringt um Authenzität. Die „Muszikás“haben sich im KITO voll ins Zeug gelegt, um diesen ungarischen Geist wiederzubeleben. Doch auch wenn das Publikum jedes noch so biedere Geigen-Geschrammel stürmisch gefeiert hat, so richtig ist dem Quintett der Spagat zwischen Weltmusik und ungarischer Folklore nicht gelungen.

Woran hat's gelegen? Zum einen sicherlich am Understatement der Sébestyén. Die Frau verfügt über ein glockenklares Organ, das spielend phrasiert und fast ornamenthafte Verzierungen ausspucken kann. Fast ein wenig einsam hat sie da in Vegesack gestanden, gehüllt in ein langes braunes Kleid, kerzengerade stehend, als sei ihr eine Holzlatte ans Kreuz genagelt worden. Doch immer dann, wenn die Zuhörerschaft nach mehr gelechzt hat, hat sich die Sängerin zurückgenommen und den Instrumentalisten das Feld überlassen. Jene konnten den gebotenen Platz aber nicht immer adäquat füllen. Soll heißen: Die tradierten Volksweisen - wie Hochzeitstänze, Liebesschnulzen und transsylvanischer Blues - sind kaum über altmodische Darbietungsformen hinausgekommen.

Die „Muszikás“haben ihrer Musik nur wenig Platz für Überraschungen oder unerwartete Wendungen gelassen. Für einige Nummern hat sich das Ensemble gar ein Tanzpärchen auf die Bühne geholt. Da ist der rote Rock durch die Luft gewirbelt worden, hat sich das Scheinwerferlicht genüßlich auf der bestickten und besetzten Schürze der holden Tanz-Maid reflektiert.

Seit Jahren streiten sich Musikfreaks darüber, ob sich Folklore abschotten muß, wenn sie authentisch bleiben will, oder ob sie Neues aufnehmen darf. Márta Sébestyén und ihre vier Begleiter haben sich im KITO für die erste Variante entschieden. Aber möglichst viele „originals“aus verschiedenen Regionen ins Programm zu heben, macht noch keine Weltmusik aus.

Ohne ihre Combo, das hat die Ungarin beim Englischen Patienten bewiesen, ist sie viel experimentierfreudiger. Wenn genügend Platz für ihre sphärische Stimme da ist, eröffnet sie Klangdimensionen, die im KITO leider verschlossen geblieben sind.

Stephan Hespos