Frauen in doppelter Zwangslage

■ Der Senat kürzt die Kostenübernahme für ambulanten Schwangerschaftsabbruch. GynäkologInnen können nicht mehr kostendeckend arbeiten und schicken deshalb finanziell bedürftige Frauen in die Klinik oder lassen

Die Situation von hilfebedürftigen Frauen, die in Berlin einen Schwangerschaftsabbruch durchführen müssen oder wollen, spitzt sich zu: Nachdem der Senat Anfang des Jahres die Zuschüsse zu ambulanten Abbrüchen gekürzt hat und eine Großzahl der niedergelassenen GynäkologInnen sich seitdem weigert, zu dem niedrigeren Satz die Abbrüche durchzuführen, übernehmen nun die betroffenen Frauen offenbar die Finanzierung selbst.

Der Landesverband Ambulantes Operieren hat zu dem Boykott aufgerufen, weil, so der Vorsitzende des Verbandes, Ansgar Pett, mit dem niedrigeren Satz – 417 Mark – nicht mehr kostendeckend gearbeitet werden könne. Durch den Boykott sind die Frauen deshalb gezwungen, in Krankenhäusern abzutreiben. Doch dort ist die Zahl der Abbrüche bisher aber nicht signifikant in die Höhe gegangen. Sowohl im Krankenhaus Neukölln, im Urban-Krankenhaus, in der Charité, als auch im Benjamin-Franklin-Krankenhaus haben in dieser und der vergangenen Woche nicht mehr Frauen als sonst abgetrieben. „Ich gehe davon aus, daß ein Großteil der hilfebedürftigen Frauen dann doch selbst für die Abtreibung zahlt“, interpretiert Pett die Zahlen.

Von den rund 13.000 Abbrüchen jährlich werden bei 10.000 Fällen die Kosten für die Abbrüche vom Senat übernommen. Wenn eine schwangere Frau bei einer beliebigen Krankenkasse angibt, daß sie unter 1.700 Mark verdient, bekommt sie dort einen Kostenübernahmeschein für den Abbruch, der dann vom Senat bezahlt wird. Lag diese Kostenübernahme pro Abbruch 1997 noch bei knapp 550 Mark, erstattet die Gesundheitsverwaltung den GynäkologInnen und AnästhesistInnen nur noch 417 Mark. Die Begründung: Die ambulanten Ärzte würden die Kosten unnötig in die Höhe treiben. Pett dagegen konstatiert: „646 Mark sind zur Kostendeckung nötig.“ Dies habe eine betriebswirtschaftliche Berechnung ergeben.

In den Krankenhäusern kostet eine ambulante Abtreibung derzeit ebenfalls 417 Mark, so hat es Staatsekretär Detlef Orwat (CDU) angewiesen. Doch, so weiß Pett, würden die gynäkologischen Abteilungen die PatientInnen zur Kostendeckung häufig stationär für einen Tag einweisen, um den Abbruch über die Krankenkasse abrechnen zu können. Insgesamt kostet dieser dann zwischen 700 und 1.500 Mark.

Pett geht davon aus, daß viele Frauen aufgrund des Boykotts versuchten, den ambulanten ÄrztInnen die Differenz zwischen der bisherigen Senatszahlung und der jetzigen Kostenerstattung zu zahlen, denn ein Abbruch im Krankenhaus sei nicht besonders beliebt. „Mir wird das ständig angeboten“, so Pett. Doch das sei absolut illegal. Pett und auch seine Kollegin Regine Lutterbeck gehen davon aus, daß dennoch Ärzte sich den fehlenden Betrag zahlen ließen. „Mir sind zwei Kollegen bekannt, die Dunkelziffer dürfte aber viel höher sein.“

Nach Angaben von Ulrike Busch, Leiterin des Familienplanungszentrum „Balance“ in Lichtenberg, sind bisher kaum ÄrztInnen im Ostteil der Stadt an dem Boykott beteiligt. Sie habe nach einer Rundfrage erfahren, daß „etliche der Meinung sind, daß das Finanzproblem nicht auf dem Rücken der Frauen ausgetragen werden kann“. Einige ÄrztInnen erbäten aber auch einfach die Zahlung des Differenzbetrages von den Frauen. „Die Frauen befinden sich natürlich in einer ganz furchtbaren Situation, aber die neue Verordnung läßt uns keine Wahl und wir müssen draufzahlen“, sagt dagegen Pett. Auch Lutterbeck ist die doppelte Zwangslage der Frauen durchaus bewußt. Doch der Boykott sei die „einzige Druckmaßnahme, die wir haben“. Die streikenden GynäkologInnen hoffen, daß die Gesundheitsverwaltung sich durch den Boykott verhandlungsbereit zeigt. Julia Naumann