piwik no script img

Flucht zu Mickymaus

Zwar wird allenthalben gelächelt – das heißt aber nicht, daß in Nagano alle Leute von Olympia begeistert wären  ■ Aus Nagano Ralf Mittmann

Die Frau lächelt, aber ihr Körper signalisiert Abwehrhaltung. Was will der „Gaijin“, was will der Fremde? Wäre da nicht Frau Yamamoto, eine Studentin aus Kobe, die im Dienste des Organisationskomitees (NAOC) der Winterspiele in Nagano als Dolmetscherin arbeitet, die Frau hätte auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre zurückgegangen ins Haus. Ihrer Landsfrau aber erzählt Manami Saito, warum sie mit Olympia in ihrer Heimatstadt überhaupt nicht glücklich ist. „Da drüben“, sagt sie, „da waren Reisfelder und Pfirsichbäume.“ Hektisch deutet die Frau auf das Bauwerk auf der anderen Straßenseite, „und ein Park, wo man spazierengehen konnte, war auch da“.

„Da drüben“ steht jetzt das Athletendorf. Für die Olympia- Organisatoren heißt das „Alarmstufe eins“. Entsprechend gesichert ist das Gebäude, mit Zaun und jeder Menge Sicherheitskräften. „Es ist“, sagt Frau Saito, „als habe man in unserer Nachbarschaft eine neue, eine andere Welt geschaffen, man darf nicht mal in die Nähe kommen.“ In ihrer Irritation achtet sie darauf, daß „meine Kinder woanders spielen“.

Man hat Manami Saito und mit ihr die Mehrzahl der Einwohner Naganos nicht gefragt, ob sie Olympia wollen. Das wurde auf oberster (sport-)politischer Ebene beschlossen, angeregt von Yoshiaki Tsutsumi, dem Präsidenten des japanischen Ski- und auch des Eishockeyverbandes, der aber vor allem ein Milliardär ist. Dem gehören natürlich gar nicht zufällig die Ländereien samt ihren Liftanlagen, auf denen in den japanischen Alpen die Skiasse um Medaillen kämpfen werden.

Nicht sicher sein darf der „Gaijin“, daß das unbeirrbare Lächeln der Ladenbesitzer im Herzen Naganos Olympia gilt. Als das NAOC vor Wochen den Wunsch äußerte, es mögen sich 72 Geschäftsinhaber melden, die jeweils eine Flagge der 72 teilnehmenden Nationen an ihrer Tür aufhängen, war die Resonanz bescheiden. Beflaggt ist das Stadtzentrum trotzdem: es wurde dann eben einfach delegiert. „Diese Form des Wunsches“, lächelt Sakoto Yamamoto, „die kannst du nicht ablehnen.“

Nicht einverstanden sind die Einwohner der Olympiastadt auch mit den Einschränkungen für den Straßenverkehr. Allen Appellen zum Trotz fahren sie einfach weiter mit dem eigenen Vehikel. Auch hier greift Stufe zwei – statt weiter bei der Bevölkerung um Verständnis zu bitten, werden ab Samstag weit mehr Straßen für die olympisch nicht zugelassenen Fahrzeuge gesperrt, als ursprünglich geplant. Ein NAOC-Sprecher: „Wir werden so viele Straßen sperren, wie notwendig sind, um den reibungslosen Olympia-Transport sicherzustellen.“

Wer in Nagano die graue, voll recycelbare Uniform des „Freiwilligen“ trägt, muß noch lange nicht aus eigenem Antrieb in den Dienst der fünf Ringe getreten sein. Als das NAOC bemerkte, daß die Zahl der volunteers zu gering sein würde, rekrutierte man den Nachwuchs bei Firmen und Behörden der Präfektur Nagano, die Angestellte abstellten „für die nationale Aufgabe“. Fast schon witzig ist, daß die meisten dieser gezwungenen Freiwilligen als Fahrer im Einsatz sind – natürlich von offiziellen Olympiafahrzeugen. Bürgermeister Tasuku Tsukada lächelt bei Nachfragen zum Thema olympische Begeisterung. Das einzige, was er darauf antworten könne, sei ein Lob auszusprechen für „die tolle Bereitschaft der Einwohner von Nagano, mitzuhelfen“.

Einige Zeitgenossen waren schneller und schlauer. Sie sind vor delegiertem Olympiadienst einfach geflüchtet. Beim Reisebüro „Kinki Nippon Tourist Co.“ kann man erfahren, „daß noch nie so viele Menschen Naganos in dieser Zeit in Urlaub gefahren sind“. Die Renner sind das Disneyland in Tokio und tropische Destinationen. „Doppelt soviel als bisher“ haben Mickymaus gebucht, die Fernreisen sind gar „um über 70 Prozent gestiegen“. Das Lächeln bei „Kinki Nippon Tourist Co.“ ist zweifellos ein ganz besonderes.

An den Wettkampforten wird freilich Hochstimmung herrschen. Von den knapp 1,3 Millionen Eintrittskarten sind etwa 1,1 Millionen verkauft worden, die meisten an Japaner. Es gibt also auch Landsleute, die Urlaub in Nagano und den Alpen rundherum machen. Bebaute Flächen, wo ehedem Reisfelder und Pfirsichbäume waren, interessieren die gewiß nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen