Vorzüge einer Bohrmaschine

■ Diese Scheibe wird ein Hit, parodierte Karl Dall. Das war fast schon cool. Die Sprache der Poppromoter ist "ehrlich, direkt, Rock pur". Und ewig blüht der Superlativ. Einige Stichproben

Menschen kaufen sich Schallplatten. Die Gründe dafür sind einfach: Musik ist da drauf, und wenn genau diese Musik den Leuten so gut gefällt, daß sie die oft, öfter, immer hören möchten, dann kaufen sie das Ding. Kein Mensch jedoch wird allein Anzeigen in Musikmagazinen zu Rate ziehen und den Anzeigentexten den wahnwitzigen Blödsinn glauben, den sie Musikern und ihren Werken hinterherdichten.

Der Sittenverfall ist im Genre Printanzeigen für CDs ganz besonders anfällig und ärgerlich. Ein Blick nach England zeigt wie immer: So geht es auch, elegant, informativ, cool und peinlich niemals. Dort bestehen die Anzeigen höchstens aus Cover und Erscheinungsdatum. Guter Brauch ist auch die serielle Fortführung, der „Reminder“ mit der höflichen Ermahnung „out now“ zwei Wochen später. Meint: jetzt aber wirklich draußen, also – ab in den Plattenladen. Versteht jeder. So sollte es sein.

Wenn deutsche Plattenfirmen werben, schleudern sie mit Superlativen umher und verfassen unwürdige Textchen, die guten Bands nicht selten manches von dem rauben, was diese mit ihrer Musik aufzubauen versuchen (Ästhetik, Würde, Eleganz, Coolness – diese Pokale halt). Die recht famose (aber ganz bestimmt nicht „sensationelle“) Gruppe 16 Horse Power zum Beispiel muß folgenden Schlachtruf ertragen: „Jetzt kaufen, bevor es später alle cool finden“. Derart ausformuliert klingen Visionen von Marketingstrategen noch banaler, als sie sind.

Hundsbuam und andere Meisterwerke

Zwar ist Coolsein der Jugend erste Bürgerpflicht, doch weiß ja die Jugend auch, daß das so einfach nun auch wieder nicht ist: Später finden das alle cool, ich jetzt schon, also Umkehrschluß: ich jetzt schon cool! Und wer garantiert einem das Eintreten der durchaus kühnen Behauptung, daß später mal alle 16 Horse Power cool finden? Und wer überhaupt sind „alle“ – alle Menschen? Alle Leser? Alle Neune? Und wer, verdammt, wer sind überhaupt 16 Horse Power? Die Anzeige immerhin ist schon drei Monate alt, und flächendeckend als „cool“ akzeptiert ist die Band bei weitem noch nicht und auch morgen nicht, das ist mal sicher.

Und doch auch der Normalfall. Gerade neue Bands, die also „etabliert“ werden sollen, müssen oft die allerdreistesten Lobpreisungen ertragen. Da wird mit Pressestimmen wie „phantastische Songs, überzeugende Backgroundvocals“ oder einer schlichten „Meisterwerk!“-Lüge aus Zentralorganen des Pop wie der Osnabrücker Zeitung oder komplett unbekannten Musikmagazinen („von und für Musiker“) geworben oder sonstwie fatal dahergeschwafelt. Vielleicht kennt niemand die Hundsbuam, aber seit November wissen wir zumindest aus mancher Anzeige, daß sie „inhaltlich nichts mit scheinheiliger Rustikalromantik am Hut“ haben und immer so weiter.

„Die Sensation ist perfekt“, wird der Umstand stereotyp bejubelt, daß eine Schallplatte entstanden ist. Die Besichtigung eines Preßwerks, zum Beispiel bei PolyGram in Hannover-Langenhagen, zu der man alle Anzeigentexter zwingen sollte, beweist schnell: ist ganz normal und unsensationell. Inflationär auch die ungeschützte Verwendung des Wortes „Hitsingle“. Lange vor ihrem Erscheinen wird vorauseilend die zumeist irrige Annahme „incl. Hitsingle“ manifestiert. Wenn dann mal etwas ein Hit ist, dann ist es erstens auch ein Hit, und zweitens kann man dann elegante Sticker auf die CD kleben. „Including soundso“, das geht gerade noch und ist manchen tatsächlich Kaufentscheidungshilfe, wenn denn der Hit einer ist. Die bloße Behauptung „Hit“ aber ignoriert, daß neben dem intendierten Sensations- und Coolness-Erwerb der Käufer die Möglichkeit nicht außer acht läßt, die Platte dann sogar auch hören zu wollen.

Das beste Album aus dem Raum Stuttgart

Nichts gegen die Corrs, wer immer sie sind, aber „Pop in absoluter Vollendung“ ist erstens ein seltenes Phänomen und zweitens auch immer eleganter als Behauptung Dritter. Und wenn die M-People auch manches sind, so ist „Sex für die Ohren“ ganz bestimmt übertrieben und auch eine gar unschöne Metapher.

Und wie wird Gott wohl dereinst über Fool's Garden befinden, deren so nutz- wie harmlose Musik heuer doch tatsächlich groß und durchaus auch breit mit einem gewiß anfechtbaren „Das beste Album“ beworben wurde? Was meinen die Marktschreier? Das beste Album aus dem Raum Stuttgart? Das beste Album dieser Band, also besser noch als das schon sehr schlechte erste? Aber wahrscheinlich ist ja doch einfach das beste Album überhaupt gemeint, und man will nicht übermäßig subjektiv oder auch besserwisserisch sein, zumindest aber doch besserwissend, und also ist es doch wohl nicht gerade unheikel, solches zu behaupten, und es gibt sicher manchen, für den Fool's Garden vielleicht nur das zweitbeste Album gemacht haben. Noch wahrscheinlicher ist folgende Meinung: „Die schlechteste, die langweiligste, die am uncoolsten gekleidete und sowieso unbedeutendste Band seit Supertramp oder noch länger“. Das wäre „ehrlich, direkt, Rock pur“ (Werbung für Uwe Ochsenknechts CD „O-Ton“, ächz). Das wäre Sex für die Ehrlichkeit in absoluter Vollendung, die Sensation wäre perfekt.

Doch Werbung darf ja so nicht sein. Werbung muß lügen und zumeist die Tatsachen auf den Kopf stellen. Und Musik greifbar machen und detailliert erklären wie die Vorzüge einer Bohrmaschine, glauben diese Verrückten.

So ist es zu erklären, daß die neue Platte von Green Day für „auf'n Punkt, unangreifbar und ein komplett eigenes Ding“ erachtet wird. „Unangreifbar“ ist gewagt und auch ein lustiges Endziel für Musik, zumindest von den Textern der Plattenfirma nicht angreifbar, ist klar, und ohnehin ist jene Platte nicht weniger als „ein Eckpfeiler der unnachahmlichen Ästhetik der Band“. Neben „laut“ und „schnell“ sei ein weiterer Vorzug dieser Platte, sie sei „kurz“. Das ist dann allerdings richtig. Fast schon neue Sachlichkeit. Benjamin v. Stuckrad-Barre