■ Bundeswehrskandal: Was Roeder sagte, lag 1994 durchaus im Trend
: Rühes Vorneverteidigung

An sich ist der Fall, den der Untersuchungsausschuß heute erstmals öffentlich verhandeln wird, klar: Minister Rühe hat seine Aufsicht über die innere Führung in der Bundeswehr vernachlässigt. Doch Rühe hat sich auf eine originelle Verteidigungslinie zurückgezogen – die öffentliche Kenntnisnahme von Rechtsradikalismus in der Bundeswehr sei eine diffamierende Attacke der Linken gegen die Bundeswehr insgesamt. So eine Belebung uralter Vorurteile gegenüber der Linken als „vaterlandslosen Gesellen“ kann im Wahljahr nie schaden und lenkt zudem noch vom Thema ab.

Gleichzeitig hat Rühe Aufklärung versprochen, allen voran des Vortrages des Neonazis Roeder in der Führungsakademie der Bundeswehr im Januar 1995 über das Thema „Die Übersiedlung der Rußlanddeutschen in den Raum Königsberg“. „Der Vortrag“, so Rühe am 10.Oktober 1997 im Bundestag, „hat in doppelter Hinsicht großen Schaden angerichtet: durch das Thema, weil es diametral der außenpolitischen Linie der Bundesrepublik widerspricht, und durch den Vortragenden.“ Gegen den verantwortlichen Offizier sei, so Rühe, ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Ein Mann räumt auf. Man sollte ihm helfen, z.B. bei der Klärung der Ursachen.

Zu ihnen gehört, daß das Thema von Roeders Vortrag damals in Deutschland keineswegs nur von Neonazis diskutiert wurde. Viele redeten davon, das Gebiet von Kaliningrad zu „europäisieren“ – und nicht wenige, die „europäisch“ sagten, meinten insgeheim „deutsch“. Zur Illustration:

Der für rechte Artikulationen bekannte Journalist Ansgar Graw veröffentlichte damals zusammen mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten W. Böhm ein Buch mit der These, daß „eine Ansiedlung von Rußlanddeutschen einen wesentlichen Schritt zum wirtschaftlichen Aufschwung in der verödeten Region darstellen wird“. Und in der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen (und zur Ausstattung der Hamburger Bundeswehrakademie gehörenden) Wochenzeitung Das Parlament konnte Graw einen umfangreichen Bericht aus der „Ostsee- Enklave Königsberg“ veröffentlichen, demzufolge der dortige Verwaltungschef eine solche Zuwanderung befürworte.

Anfang 1994 veröffentlichten die Bundestagsabgeordneten W. Böhm, F. Pflüger (beide CDU) sowie Ch. Schmidt und H. Koschyk (beide CSU) ein sogenanntes „Standortpapier“. Sie schlugen für Kaliningrad ein „Modell europäischen Zusammenlebens“ vor. Zu ihm gehörte „die Einbeziehung der aus der Region Königsberg vertriebenen und der heute dort lebenden Deutschen in die deutsche und europäische Zusammenarbeit mit Rußland“. Und die Bundestagsabgeordneten waren zuversichtlich, daß „sicher auch die weitere Zuwanderung von Rußlanddeutschen in das Königsberger Gebiet Akzeptanz findet“.

Im Februar 1994 wurde von deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament eine Königsberg-Debatte initiiert. Der damalige russische Außenminister Kosyrew betrachtete dies als eine „glatte Unverschämtheit“ und befürchtete Rückfälle „in den germanischen Drang nach Osten“. Rußland verweigerte (bis heute) die Eröffnung eines deutschen Konsulats in Kaliningrad.

Gewiß, alles ist schon wieder ein paar Jahre her, und manche der durch die deutsche Einheit frohgemut gewordenen großdeutschen Denker sind inzwischen wieder etwas ruhiger geworden. Aber der Neonazi Roeder lag damals, wie gezeigt, mit seinem Vortrag durchaus in einem Trend, der vermutlich auch keinen großen Bogen um die Bundeswehr und ihre Akademie gemacht hat.

Wie hat sich wohl, so ist zu fragen, der Verteidigungsminister, für den Roeders Vortragsthema heute „diametral der außenpolitischen Linie der Bundesrepublik widerspricht“, damals, als dies auch schon so war, zu der Thematik verhalten? Oder hat er vielleicht gar nicht gemerkt, was alles in der Republik und in seiner Fraktion so lief? War er damals vielleicht gar genauso lässig wie der Hamburger Oberst? Und muß der nun über die Klinge springen, weil er damals nicht so klug war wie sein Minister heute? Hans Arnold

Der Autor ist Publizist und Lehrbeauftragter in München