Grüne wollen neuen Anlauf gegen Unrechtsurteile

■ Obwohl der Justizminister eingeknickt ist, soll der Bundestag die NS-Opfer rehabilitieren

Bonn (taz) – Die Grünen haben die Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen erneut auf die politische Tagesordnung gesetzt. Gestern präsentierte die Fraktion einen Gesetzentwurf, der die Verurteilung von Systemgegnern und Homosexuellen, Wehrmachtsdeserteuren und Wehrkraftzersetzern im Dritten Reich aufhebt. Die Grünen wollen darüber hinaus 59 Rechtsvorschriften, die den Unrechsurteilen zugrunde liegen, gesetzlich für nichtig erklären lassen.

Justizminister Edzard Schmidt- Jortzig hatte im vergangenen Jahr einen ähnlichen Gesetzentwurf vorgelegt, ihn aber nach Widerstand von Unionspolitikern zurückgezogen. Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, kritisierte noch einmal „die Feigheit der FDP vor dem politischen Freund“. Die CSU-Forderung, NS-Unrechtsurteile nicht „übereilt“ aufzuheben, sei „an Zynismus kaum zu überbieten“. Der Entwurf der Grünen orientiert sich an Schmidt-Jortzigs Vorlage, geht aber in einigen Punkten darüber hinaus. Während sich das Justizministerium auf die Aufhebung von Todesurteilen beschränkt hatte, bestehen die Grünen darauf, auch Urteile zu Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung für nichtig zu erklären.

Neben dieser symbolischen Rehabilitierung soll den Opfern auch materiell geholfen werden. Sie sollen den Status „Verfolgte des Nationalsozialismus“ erhalten. Damit hätten sie Anrecht auf Zahlungen aus dem Bundesentschädigungsgesetz. Volker Beck forderte erneut die Einrichtung einer Bundesstiftung, die die „vergessenen“ NS- Opfern schnell und unbürokratisch entschädigen soll.

Mit einem zweiten Gesetz wollen die Grünen die Sterilisations- Entscheidungen der „Erbgesundheitsgerichte“ aufheben. Rund 350.000 Menschen wurden von den Nazis sterilisiert, rund 40.000 sind nach Informationen der Grünen noch am Leben. Bislang haben sie den Status von „Geschädigten“, nicht von „Verfolgten“.

Die SPD will, wie angekündigt, in den nächsten Tagen einen eigenen Gesetzentwurf zur Aufhebung der NS-Unrechtsurteile in den Bundestag einbringen. Grundsätzlich sei die SPD gesprächsbereit, um über einen gemeinsamen Antrag zu verhandeln, sagte eine Sprecherin. Auch Volker Beck ist optimistisch, daß sich SPD, FDP und selbst einige „moderne Konservative“ aus der CDU noch auf einen interfraktionellen Antrag einigen können – wenngleich nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Ariel Hauptmeier