Der Arbeitslosen-Boom hält an

■ Spätestens Ende diesen Monats dürfte in Hamburg die Marke von einhunderttausend Erwerbslosen überschritten sein

„Der Kaufrausch ist beim Arbeitsmarkt angekommen“– sichtlich vergnügt präsentierte Sozialsenator Ortwin Runde (SPD) zusammen mit Arbeitsamts-Chef Klaus Clausnitzer die neuesten Arbeitsmarktzahlen: Während das Arbeitsamt die Rekordzahl von fast 20.000 Menschen in ABM-Projekten, Fortbildungen und Umschulungen untergebracht hatte, war auch die Zahl der Arbeitslosen mitten im Winter auf nur noch 68.000 gesunken.

Das war am 8. Januar 1991. Und das Optimisten-Duo behielt zunächst sogar recht: Die Arbeitslosigkeit sank 1992 auf durchschnittlich nur noch 57.000 offiziell registrierte Erwerbslose, die Zahl Hamburger Arbeitsplätze kletterte auf den Nachkriegsrekord von knapp 800.000.

Heute, nur sechs Jahre später, ist Clausnitzer Chef des Berliner Arbeitsamtes, Runde ist Bürgermeister – und die Zahl der Arbeitslosen hat sich beinahe verdoppelt und dürfte spätestens im Februar die Marke von 100.000 überspringen, während der Arbeitsmarkt auf nur noch 730.000 Arbeitsplätze verweisen kann.

Dieser Trend hält an. Während Hamburg sich 1997 über ein sensationell gutes Wirtschaftswachstum von mehr als 2,5 Prozent freuen durfte, sanken Konsumnachfrage und Steuereinnahmen, und die Arbeitslosenzahlen schnellten um fast zehn Prozent nach oben. Selbst wenn sich das Wirtschaftswachstum 1998 weiter beschleunigt, was angesichts der Asienkrise nicht mehr ganz so wahrscheinlich ist, dürften sich die Hamburger Erwerbslosenzahlen im besten Fall stabilisieren.

Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzentwicklung haben sich, so scheint es, endgültig voneinander entkoppelt: Da schwappt die ungebrochene Rationalisierungswelle der Industrie mittlerweile auch in die Verwaltungszentralen und den Dienstleistungssektor, da kursieren Gewinne in internationalen Spekulationskreisläufen, anstatt kaufkräftige Nachfrage zu bilden.

Und auch der Staat heizt den Arbeitslosenboom kräftig an. Waren 1991 noch 20.000 HamburgerInnen in ABM-Maßnahmen beschäftigt oder machten eine Fortbildung, so sind es im Dezember vergangenen Jahres nur noch 7.859 Menschen. Entscheidende Triebfeder dieser Kurswende in der Arbeitsmarktpolitik ist die Bundesregierung.

Dank drastischer Einschnitte beim Etat der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit steht dem Hamburger Arbeitsamt heute nur ein Bruchteil der Mittel von 1991 zur Verfügung. Auch die Stadt Hamburg setzt dem nichts entgegen: Die herkömmliche Standortpolitik, welche Rationalisierungen in der Industrie sogar noch beschleunigt, wird durch eine bescheidene Sozialpolitik flankiert, die sich verstärkt den Stadtquartieren und jugendlichen Arbeitslosen annehmen will.

Eine grundlegende Wende ist nicht in Sicht. Auch innerhalb der GAL stoßen jene noch immer auf taube Ohren, die ein Programm zur Förderung von ökologischer Produktion und Handwerk einklagen. 10.000 bis 20.000 Arbeitsplätze könnten, so glauben einige VordenkerInnen in Gewerkschaften und GAL, so geschaffen werden. „Tariflohn statt Sozialhilfe“heißt das Konzept. Schon innerhalb weniger Jahre, so rechnet ÖTV-Vize Wolfgang Rose vor, hätten sich die Kosten durch die eingesparten Sozialhilfezahlungen amortisiert.

Von französischen Verhältnissen ist Hamburg jedoch weit entfernt: In den Führungsetagen der Hamburger Gewerkschaftszentrale herrschte gestern hinter vorgehaltener Hand unverhohlene Skepsis, ob der gewerkschaftlich organisierte, heutige „Aktionstag“tatsächlich zu jenem öffentlichen Aufschrei wird, bei dem die Arbeitslosen eine neue Politik einfordern. „Wir sind unsicher, ob das nicht ein Flop wird“, hieß es. Immerhin sei „das Bewußtsein bei uns einfach noch nicht so weit wie in Frankreich“.

Florian Marten