„Wieviel Geld habe ich zum Träumen?“

■ Denis Krief inszeniert am Theater Verdis „Maskenball“

Das dreiaktige Melodram „Un Ballo in Maschera“– 1859 uraufgeführt, gilt in Verdis Schaffen als Musterbeispiel seiner Ästhetik der „verità“, der Wahrheit. Konkret heißt das, daß er in dieser Oper wie in keiner anderen mit musikalischen Stilen vollkommen frei, ohne jede Gesetzmäßigkeit, umgeht. Daß die neapolitanische Zensur die Uraufführung verbot, weil nach dem Mord an Napoleon III kein Königsmord auf offener Szene gezeigt werden durfte, hat dem Stück nicht geschadet. Ohne dramaturgische und musikalische Änderungen wurde das Stück – nach vielem für Verdi quälendem Hin und Her – um 100 Jahre zurück nach Boston verlegt und als „Bostoner Fassung“bis heute so gespielt. Verdis Meisterwerk – Rigoletto, Traviata und Macbeth waren geschrieben, Aida und Othello sollten folgen – hat am 8. Februar Premiere am Bremer Theater. Inszeniert wird es von Denis Krief, der 1993 mit „Benvenuto Cellini“von Hector Berlioz an der Pariser Bastille-Oper seinen Durchbruch erlebte.

Seither hat der in Ferrara lebende Mann mit der italienischen Mutter und dem tunesischen Vater eine Inszenierung in Deutschland gemacht. Zu Beginn der letzen Probenwoche trafen wir ihn.

taz: Guiseppe Verdis „Un Ballo in Maschera“– ein Maskenball – ist einerseits ein richtiger Krimi: Der Liebhaber wird auf einem Fest vom Ehemann ermordet. Die Oper ist andererseits eine bewegende Liebesgeschichte. Wo legen Sie den Schwerpunkt?

Krief: Auf beides natürlich. Diese zutiefst menschliche Geschichte klar zu erzählen ist meine Aufgabe als Regisseur. Verdi war ein Komponist der Erde, des Lebens, er erzählte ganz einfach die Geschichten seiner Zeit. Der historische Ort und die Zeit waren nicht so wichtig. Er wollte ein Theater der Wahrheit. In diesem Fall ist es ja ein richtiger Krimi. Eines meiner Vorbilder für die Inszenierung ist Alfred Hitchcock. Bei dem stehen die Menschen absolut im Mittelpunkt.

Welche Rolle spielt denn bei Ihnen generell die Situation des 19. Jahrhunderts, und wie haben Sie sich da vorbereitet?

Den gesellschaftspolitischen Kontext habe ich mir schon vergegenwärtigt: Siegfried Kracauer, Walter Benjamin waren entscheidende Autoren für mich in der Vorbereitungszeit. „Un ballo in Maschera“zeigt für mich eine klare Sozialstruktur: Militär, Kirche, Bürgertum. Diese Struktur ist die wichtigste.

Verdi war neben oder mit seinem politischem Engagement auf der Suche nach den Leidenschaften der Menschen. Wie studieren Sie neben dem Text, dem Inhalt, die Partitur?

Ich habe Klavier und Gesang studiert, kann Partitur lesen, was für mich absolut wichtig ist. Ich muß mich mit allem sehr lange isolieren, und dann ist mein Konzept zur ersten Probe fertig. Ich sage den Sängern nicht, wo und wie sie gehen müssen. Das müssen sie selber finden, wenn ich ihnen die Geschichte erzählt, die Figur erklärt habe. Amelia zum Beispiel, das ist eine bürgerliche Frau aus der Kaserne, sie hat niemanden. So eine Frau kann natürlich nicht schnell gehen. Das muß sie aber selbst merken. Ich denke bei diesem Eifersuchts- und Ehedrama auch sehr an Fellini zum Beispiel oder Ibsen.

Sie haben gesagt, daß Sie Ihr Konzept an der Partitur entwickeln, die Sie lesen können. Das ist nicht selbstverständlich. Müssen Opernregisseure Noten lesen können?

Für mich ist das normal, aber ich glaube, daß andere, die das nicht können und wollen, vielleicht ganz andere Aspekte finden. Ich bin da tolerant.

Sie sind Bühnenbildner, Kostümbildner und Regisseur in einem. Das kommt bei uns zwar auch vor – ich nenne hier Herbert Wernicke oder Erich Wonder – , ist aber trotzdem nicht selbstverständlich.

Ich kann das nicht getrennt denken. Für mich gibt es nur eine Vorgabe: Wieviel Geld habe ich zum Träumen?

Es gibt verschiedene Punkte, die in Ihrer Biographie ungewöhnlich, anders sind: Keine philosophischen, intellektuellen Konzepte, sondern die Klarheit der Story in ihrer Struktur. Haben Sie Vorbilder?

Nein. Ich habe keine Schule, ich habe nichts in bezug auf Regie gelernt. Aber ich habe gelebt und beobachtet.

Ich habe nach dem Abitur zehn Jahre gejobbt – zum Beispiel als Mathematiklehrer. Sie glauben gar nicht, wie viele Mütter in aller Welt sich Sorgen machen um die Mathematikleistungen ihre Söhne, davon kann man von Amerika bis Indien leben. Ich habe Menschen kennengelernt, unendlich viele Theaterinszenierungen gesehen: Giorgio Strehler, Peter Stein. Und ich habe natürlich Glück gehabt. In Versailles inszenierte ich sozusagen aus heiterem Himmel Figaros Hochzeit.

Was ist das Handwerk des Regisseurs?

Keines. Das mußt du sein, geerbt, als Mensch. Wie die Pädagogik. Das kann man nicht lernen.

Sie leben in Ferrara, haben eine italienische Mutter. Warum ist dort immer noch das sängerische Rampentheater so erfolgreich? Warum wird gerade in Italien die großartige Stimme völlig isoliert aus der dramaturgischen Funktion der Oper herausgenommen?

Schwer zu sagen. Ich will die Stimmfetischisten in Ruhe lassen. Aber Oper ist Theater, es ist die Welt oder wenigstens die Ikone der Welt, und da gibt es nur eins. Ich fühle mich mit diesem Anspruch in Italien allein, bin ein Außenseiter.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Premiere am Bremer Theater: Un Ballo in Maschera, am 8.2. um 19.30 Uhr. Inszenierung und Bühnenbild: Denis Krief; die musikalische Leitung hat Massimo Zanetti.