EiskunstläuferInnen aus der märkischen Tiefebene

■ Ohne die DDR-Talentschmieden gäbe es kaum ein Berliner Team für die Winterspiele im japanischen Nagano: Von den 14 TeilnehmerInnen stammen nur vier aus dem Westteil der Stadt.

Die hohe Zahl Berliner Starter bei den Olympischen Spielen in Nagano widerspricht den geographischen Eigenschaften der märkischen Tiefebene. 14 von insgesamt 134 bundesdeutschen AthletInnen, der viertgrößten Teilnehmer- Nation in Japan, stammen aus Berliner Klubs.

„Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich“, erklärt Dietmar Bothe vom Landessportbund Berlin (LSB) und verweist dazu noch auf die traditionelle Wintertauglichkeit preußischer „Flachland- Tiroler“.

In der Tat: Für acht der vierzehn Erwählten sind es nicht die ersten Spiele im Zeichen der fünf olympischen Ringe. Was jedoch auffällt: Bis auf vier Eishockey-Cracks der Charlottenburger „Capitals“ (die Spieler Merk, Molling, Ustorf und Rumrich), dabei auch noch größtenteils Legionäre aus Bayern, durchliefen sie die DDR-Talentschmiede.

Das BRD-Kontingent für Nagano im Eisschnell- sowie im Eiskunstlauf wird ausnahmslos mit Sportgewächsen des untergegangenen sozialistischen Deutschland bestückt. „Das ist normal“, so Bothe, „denn wer heutzutage Weltklasse ist, muß seit ungefähr 10, 15 Jahren in seiner Disziplin aktiv sein. „Zudem befindet sich ja auf dem Sportforum im Bezirk Hohenschönhausen die einzige Eishalle mit ganzjährigem Eislaufbetrieb in ganz Deutschland.

Landessportbund-Mann Bothe ortet in den Ostberliner Sportschulen mehr Ausdauer bei der schweißtreibenden Plackerei im Hochleistungsbereich als im verwöhnten Westen. Früh wurde in der DDR ausgelesen, wer optimale Voraussetzungen für eine bestimmte Sportart mitbrachte, die in den Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) zur Hochform weiterentwickelt wurden. Koste es, was es wolle, und ohne Rücksicht weder auf die physische noch auf die psychische Entwicklung der Kinder. Davon profitiert schließlich auch das vereinte Sport-Deutschland noch heute.

Ganz anders im Westen. Bothes Einschätzung: „Hier ist die Jugend generell bei der Wahl ihrer Sportart eher flatterhaft, da wird viel ausprobiert und gewechselt, auch ohne Rücksicht auf Talent.“

Für den zukünftigen Sportstandort der Spree-Metropole läßt das wenig Gutes erahnen. Die Oldies im Japan-Aufgebot gehen stramm auf die Dreißig zu. Auf zum letzten Gefecht in Nagano, Schluß mit der Winterherrlichkeit in der Hauptstadt?

Der Landessportbund sieht keineswegs schwarz, denn es gibt sie noch, die ehemaligen Kinder- und Jugendsportschulen im Ostteil der Stadt, die – im neuen, westlichen Gewand – von der Politik reaktiviert werden: die Seelenbinder- Gesamtschule (im Bezirk Hohenschönhausen), die Köpenicker Flatow-Schule sowie das Coubertin- Gymnasium im Bezirk Prenzlauer Berg.

Damit die umtriebige West-Jugend in geordnete Bahnen gelenkt wird, ist eine vierte Bildungsstätte in der einstigen Mauerstadt im Gespräch, wobei der Landessportbund als Standort das frühere Reichssportfeld am Olympiastadion präferiert.

Ziel ist eine allseits entwikkelte Sportbegabung mit einer Paradedisziplin. Oder, wie es Dietmar Bothe ausdrückt: „Der gezielte Aufbau innerhalb eines bestimmten Korridors.“ Jürgen Schulz