Tödlicher Sturz im Altenheim

Eine 73jährige alkoholkranke Altenheimbewohnerin steht wegen des Todes ihrer Zimmergenossin vor Gericht. Sie soll die 87jährige alte Dame zu Boden geschubst haben  ■ Von Plutonia Plarre

Die kleine, grauhaarige Frau rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Fragend wanderten ihre Augen durch den Saal, während sie nervös an ihrem Pelzjäckchen nestelte. Nicht nur akustisch schien sie kein Wort von den Vorgängen zu verstehen. „Ich weiß nicht. Ich kann dazu nichts sagen“, wehrte sie die schon fast gebrüllten Fragen des Richters ab.

Die 73jährige Rentnerin Johanna F. muß sich seit gestern wegen des Todes einer Zimmergenossin im Altersheim vor Gericht verantworten. Johanna F. soll die 87jährige Bettnachbarin Elfriede Sch. zu Boden gestoßen haben. Die alte Dame erlitt durch den Sturz einen Oberschenkelhalsbruch und starb vier Wochen später an einer Lungenembolie.

Laut Staatsanwaltschaft steht die Embolie in „ursächlichem Zusammenhang“ mit dem Sturz. Die Anklage lautet deshalb auf Körperverletzung mit Todesfolge.

Die beiden Zimmergenossinnen waren sehr unterschiedlich. Die ehemalige Köchin Johanan F. ist eine kleine, agile Frau, die im Altersheim ständig auf der Suche nach etwas Trinkbarem auf Achse war. Bevor sie 1991 in die Albert- Schweitzer-Stiftung in Weißensee gekommen war, war die Alkoholikerin obdachlos. Als Zeugin berichtete gestern eine Pflegerin namens Schwester Rosemarie, daß Johanna F. schon häufig Heiminsassen beklaut und das Geld dann für Alkohol und Zigaretten ausgegeben habe. Wenn sie betrunken sei, könne Johanna F. sehr ausfallend werden. „Sie schmeißt dann die Türen, wirft mit Geschirr und schubst ihr unterlegene Heimbewohner um.“

Die beiden Frauen hatten erst seit einer Woche ein Zimmer geteilt, als es am 25. März 1997 zu dem Vorfall kam. Die an Alzheimer leidene Elfriede Sch. war zwar deutlich größer und kräftiger als Johanna F., aber wesentlich schlechter auf den Beinen. „Sie war eine sehr liebe, anhängliche Frau, die immer ein Lächeln übrig hatte“, so Schwester Rosemarie. Die 38jährige Pflegerin ist in dem Prozeß die wichtigste Zeugin. Sie hatte in der besagten Nacht Dienst. Bei einem letzten Rundgang durch die Zimmer will sie am Bett von Johanna F. eine Bierbüchse stehen gesehen und Alkoholgeruch wahrgenommen haben. Gegen 3 Uhr morgens habe sie dann aus dem Zimmer „laute Worte“ wie „du alte Sau!“ und einen Knall gehört. Als sie den Raum betreten habe, habe Elfriede Sch. am Boden gelegen. „Sie hat mich geschubst“, habe sie gesagt und auf die gerade ins Bett kletternde Johanna F. gedeutet. Die altersdemente Elfriede Sch. hatte später keine Aussage mehr machen können.

Auf Nachfrage der Verteidigerin räumte die Pflegerin ein, daß Elfriede Sch. „von sich aus eigentlich nie“ gesprochen habe. Daß sie es nach dem Sturz doch getan habe, erklärte die Schwester „mit dem Schreck“. Ob diese Erklärung für eine Verurteilung ausreicht, ist fraglich. Aber selbst wenn Johanna F. die Tat nachgewiesen wird, wird sie aufgrund ihrer Alkoholkrankheit strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Der Prozeß würde dann am kommenden Montag möglicherweise mit der Einweisung in eine Entziehungsanstalt enden. Unabhängig von dem Urteil plant das Altersheim, Johanna F. Anfang März auf eine Alkoholikerstation innerhalb der Albert-Schweitzer- Stiftung zu verlegen, „um künftig Probleme mit den alten Damen zu vermeiden“, wie eine Pflegerin gestern sagte.

Diese Überlegungen schienen bei der schwerhörigen Angeklagten überhaupt nicht anzukommen. Nur die Rauchpausen nahm sie erleichert zur Kenntnis. „Sie können auch in die Kantine gehen“, bot ihr der Vorsitzende Richter an und fügte schmunzelnd hinzu: „Aber keinen Schnaps trinken.“