Kanther feilt weiter am Polizeischlüssel

■ Die Softwareindustrie will kein Kryptographiegesetz - die Bundesregierung setzt auf eine Hardwarelösung

Das Bonner Innenministerium plant die Entwicklung eines Verschlüsselungschips nach dem Muster des umstrittenen amerikanischen „Clipper-Chips“. Das behauptet wenigstens der SPD-Bundestagsabgeordnete und Medienexperte Jörg Tauss. Nach seinen Angaben soll der Chip ähnlich wie das glücklose amerikanische Vorbild „den Sicherheitsbehörden ein Schlüsselloch bieten, durch das sie auch bei wirksamer Verschlüsselung von vertraulichen Inhalten einer Datenkommunikation Kenntnis nehmen können“.

Da sich international in der Diskussion um die Verschlüsselung von Datenkommunikation die Auffassung durchgesetzt hat, daß Kryptoverfahren mit einer Hintertür für staatliche Behörden politisch nicht durchzusetzen sind, unternimmt das Innenministerium nach Meinung von Tauss den Versuch, der Polizei auf andere Art einen Zweitschlüssel zu verschaffen. Beabsichtigt sei, die geplante Ministeriumshardware bei allen staatlichen Stellen zu installieren und die gesamte behördliche Kommunikation ausschließlich mit Hilfe des Chips zu verschlüsseln. Dadurch solle Druck auf andere Anwender ausgeübt werden, sich ebenfalls dieser Technik zu bedienen.

Tauss räumt zwar ein, daß sein Bericht von den zuständigen Behörden dementiert wird. Seine Informationen, hält er aber dagegen, kommen aus seriösen Kreisen, die in Bonn mit der Thematik befaßt sind. Die Strategie ähnelt dem Vorgehen der Regierung in den Vereinigten Staaten. Auch in den USA ist angesichts politischer Widerstände geplant, einen staatlich zertifizierten „Clipper-Chip“ über den Markt durchzusetzen.

Die amerikanische Wirtschaft ist von diesen Vorstellungen aber keineswegs beeindruckt; in den USA gilt der Clipper-Chip bereits als gescheitert. Bundesinnenminister Manfred Kanther dürfte mit ähnlichen Reaktionen in der bundesdeutschen Wirtschaft rechnen, zumal die Absicht einer Verschlüsselung mit einer Hintertür für die Sicherheitsbehörden nicht nur zwischen den verschiedenen Bonner Ressorts umstritten ist. Vor allem deutsche Softwarefabrikanten, die sich auf „starke“ Kryptographieverfahren spezialisiert haben, laufen gegen die restriktiven Zulassungsverfahren Sturm. Sie befürchten im Falle einer restriktiven Verschlüsselungsregelung internationale Wettbewerbsnachteile.

Die Haltung der Bundesregierung zum Einsatz sicherer Verschlüsselungssysteme läßt sich in einer schriftlichen Unterrichtung des Bundestages vom 29. Oktober des vergangenen Jahres nachlesen. Das Papier trägt den Titel „Info 2000 – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft, Fortschrittsbericht der Bundesregierung“. Unter anderem heißt es darin, daß im Frühjahr 1997 im Staatssekretärsausschuß für das „geheime Nachrichtenwesen und die Sicherheit“ Einvernehmen über die Ziele einer deutschen „Kryptopolitik“ hergestellt werden konnte. Eckpunkte dieser Politik sind danach die „dauerhafte Sicherstellung, daß in Deutschland sichere und starke Systeme zur Verfügung stehen“. Betont wird auch „die Förderung einer starken Marktposition deutscher Krypto- Hersteller“. Doch dieses Ziel wird gleichzeitig durch die Forderung nach der „Wahrung der Interessen der deutschen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden“ konterkariert.

Innerhalb der Bundesregierung herrscht der Unterrichtung zufolge Einvernehmen darüber, in dieser Legislaturperiode auf gesetzliche Regelungen für die Nutzung und die Zurverfügungstellung von Kryptoprodukten und -verfahren zu verzichten. Bonn wolle abwarten und die weitere europäische und internationale Entwicklung aufmerksam verfolgen. Als einen „Beitrag zur Stärkung der deutschen Kryptoindustrie“ weist die Bonner Regierung aber aus, daß das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik „den Auftrag erteilt“ habe, „einen universellen Kryptoprozessor zu entwickeln. Dieser Chip, der sich durch hohe Sicherheit und Funktionsvielfalt auszeichnen soll, „soll auch der deutschen Wirtschaft zur Entwicklung kommerzieller IT-Sicherheitsprodukte zur Verfügung gestellt werden“. Wenn da mal der Abgeordnete Tauss am Ende nicht recht behalten wird. Wolfgang Gast

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