Wenn ich ein Fisch im Wasser wär'

■ Mit Neptun schweigt Takuro Yamashita. Doch zu guter Letzt beginnt auch er noch zu reden. Shohei Imamuras Filmgroteske "Der Aal"

Am Anfang steht der Betrug. Wie nach jedem Arbeitstag fährt Takuro Yamashita mit dem Zug nach Hause. Er bleibt nicht lange im trauten Heim, seine Ehefrau Emiko bereitet ihm das Abendessen, das Paar hat sich wenig zu sagen. Dann fährt Takuro zum Angeln. Meist kehrt er erst tief in der Nacht zurück. Doch dieses Mal verläßt er das Anglerparadies früher: Ein anonymer Brief informierte ihn, daß seine Frau sich mit einem Liebhaber amüsiert, während er wartet, daß die Fische beißen. Tatsächlich ertappt er die Gattin auf frischer Tat. Takuro sucht und findet ein Messer, stürmt das Liebesnest und erdolcht die erschrockene Fremdgängerin. Blutbesudelt radelt er zur nächsten Polizeistation.

In den ersten Minuten von Shohei Imamuras neuem Film „Der Aal“ wird wenig geredet, obwohl viel geschieht, und das ändert sich auch im Verlauf des Dramas nicht. Das japanische Erzählkino kommt bekanntlich fast ohne Worte aus, und wenn schon gesprochen wird, dann werden die Sätze mit strenger Miene vorgetragen. Im „Aal“ hat die Form jedoch eine inhaltliche Entsprechung. Das sadistische Schweigen ist das zentrale Thema in dem 1997 mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Film. Die von Koji Yakusho glänzend gespielte Hauptfigur Takuro ist so stumm wie die Fische, die er wegen ihrer Stummheit verehrt. Im Gefängnis legt sich Takuro einen Aal zu, den er im Knastteich aufzieht und auch nach der Entlassung mitnimmt. Dann zieht der eigensinnige Held aufs Land und eröffnet einen Friseursalon.

Das muß natürlich schiefgehen. Denn auf dem Land wird mehr geplappert, als Takuro lieb ist. Die wenigen Kunden, die seinen Salon aufsuchen, sind mehr oder weniger seltsame Gestalten. Auch eine Frau verirrt sich in die Einöde. Keiko Hattori will sich aus Liebeskummer das Leben nehmen, aber Takuro kann den Selbstmord verhindern. Es kommt alles, wie es kommen muß: Keiko läßt sich von ihrem Lebensretter den Kopf verdrehen, während der überhaupt nichts von ihr wissen will. Doch als Keikos Ex-Lover, der wüste Finanzhai Dojima, den bunten Reigen betritt und der Konflikt in einem großen Showdown eskaliert, offenbart Takuro seine Empfindungen für Keiko. Das Schweigen ist gebrochen, und der Aal wird aus dem Aquarium befreit.

Was ernst erscheint, ist derber Klamauk

Man muß den „Aal“ zweimal sehen. Das erste Mal nimmt man nur die Bilderbuchbilder und die aufdringliche Epik wahr. Beim zweiten Sehen wird jedoch klar, daß Imamuros zwanghafte Konstruktion die Grundlagen des Films, nämlich die allzu realen japanischen Verhältnisse, so denunziert, daß „Der Aal“ zur Groteske wird. Imamuros präziser Dokumentarfilmerblick, mit dem er etwa 1989 in „Schwarzer Regen“ die Folgen der Hiroshima-Katastrophe festhielt, läßt auch seinen aktuellen Spielfilm umschlagen. Was ganz ernst erscheint, kann nur als besonders derber Klamauk verstanden werden.

„Gebäre mir ein Kind“, deklamiert Takuro in der pathetischen Schlußsequenz, wozu Keiko verlegen nickt. Das ist schrecklich, und auch die Verständnisvollen, die in solchen Fällen stets von den kulturellen Differenzen zu sprechen beginnen, werden den Gebärauftrag schrecklich finden. Dennoch ist die Situation vor allem komisch, denn sie ruft Takuros Sexhemmungen ins Gedächtnis. Keiko ist schwanger, zum Glück hat der ehemalige Liebhaber vorgesorgt. Nicht einmal üben darf Takuro, wo er nun wirklich loslegen will. Statt dessen muß er zurück ins Gefängnis. Diesmal hält er sich keinen Aal mehr, sondern legt lustversessen Hand an sich, die Befreiung beginnt ja immer bei einem selbst. Und wenn die Kerkerzeit vorüber ist, wird Keiko sich über einen sinnenfrohen Ehemann an ihrer Seite freuen dürfen.

Shohei Imamuras Glück ist, daß er für Takuros Rolle Koji Yakusho gewinnen konnte, in Japan ein Superstar und einer der wenigen Schauspieler, die von ihrer Kunst leben können. Anfang der achtziger Jahre war er noch ein gewöhnlicher Manager. Er brauchte seine Frau nicht um die Ecke zu bringen, damit sein Leben den richtigen Verlauf nahm. Einige Theaterbesuche reichten aus, den Job zu kündigen und beim Theater einzusteigen. Seine Erfolgsgeschichte beeindruckt die Japaner so, daß Yakusho sie in seinen Filmen nun variieren darf. In seinem jüngsten Film „Shitsurakuen“, der wohl erst Anfang 1999 in die deutschen Kinos kommen wird, spielt er einen Verlagsmanager, der mit einer Ärztin anbandelt. Und im Kinohit „Shall we dance?“ (1996) präsentiert sich Yakusho als Bürogänger, der Tanzunterricht nimmt, weil ihn eine schöne Tanzlehrerin beeindruckt hat.

Die modernen japanischen Filme handeln oft von märchenhaften Ausbrüchen aus der trostlosen Arbeitswelt. „Der Aal“ ist insofern eine Ausnahme, als die Änderung durch die Katastrophe einsetzt. Derart gleichförmig muß der Alltagszwang sein, daß die Zuschauer aber immer mit einem glücklichen Ende nach Hause geschickt werden. Carsten Otte

„Der Aal“. Regie: Shohei Imamura. Mit Koji Yakusho, Misa Shimizu u.a. Japan 1997, 117 Min.