Fasern, Speichel, eine Kippe

Im Prozeß gegen Rainer und Sven Körppen, die Entführer und mutmaßlichen Mörder von Jakub Fiszman, belasten immer neue und gesicherte Indizien vor allem den Vater schwer  ■ Von Heide Platen

Ruhig und lässig gibt er Auskunft, ein freundlicher, eleganter älterer Herr: „Das war sehr schön zu sehen.“ Sein Beruf ist der Tod, und „schön“ findet er deutliche Spuren. Er redet über eine Leiche, über Leichenflecken, Insektenfraß, Madenbefall. Er redet über eine „faule Leiche“.

Der Gerichtsmediziner Professor Hansjürgen Bratzke untersuchte den am 1. Oktober 1996 in Frankfurt entführten, brutal erschlagenen 40jährigen Kaufmann Jakub Fiszman. Tagelang hatten Polizei und Bundeswehr vergeblich nach dem Entführten gesucht. Tagelang bestand noch die Hoffnung, daß auch er, wie zuvor der Hamburger Jan Philipp Reemtsma, freikommen würde. Entdeckt wurde er erst, als Rainer und Sven Körppen, Vater und Sohn, festgenommen worden waren. Sven Körppen gestand die Entführung und gab den Beamten Hinweise auf den Fundort, ein unzugängliches Waldstück im Taunus. Dort untersuchte Bratzke den Toten am frühen Nachmittag des 19. Oktober zum erstenmal.

Jakub Fiszman lag, notdürftig unter Erde, Laub und Zweigen verscharrt, auf dem Bauch, Beine und Arme ausgestreckt, ohne Schuhe, die Handflächen nach oben gedreht: „Sehr deutlichen Fäulnisgeruch“ vernahm Bratzke. Fiszman hatte lange im Wald gelegen. Zu lange. Eine genaue Todeszeit, so der Gerichtsmediziner, sei deshalb nicht mehr festzustellen gewesen. Fliegeneier und Käferlarven, aus denen sich ungefähre Zeiträume hätten ablesen lassen, habe er nicht gefunden.

Es ist der 26. Verhandlungstag im Prozeß gegen Rainer und Sven Körppen vor der 14. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts. Der Vorsitzende Richter, Kurt Elliesen, hat genauere Auskünfte zur Todeszeit erhofft: „Wann kommen die Fliegen?“ Bratzke: „Das hängt von den Fliegen und von der Temperatur ab.“ Es war Oktober. Zu kühl für die Fliegen. Bratzke beschreibt die zahlreichen Verletzungen des Toten: eine zerschlagene Oberlippe, blaugeprügelte Augen, eine Wunde am Hinterkopf, Prellungen, eine gebrochene Rippe. All das war noch nicht tödlich. Die Todesursache war erst nach der Obduktion zu erkennen.

Die Wirbelsäule des Opfers war zwischen dem ersten und zweiten Nackenwirbel zertrümmert. Auch zwischen dem zweiten und dritten Halswirbel klaffte ein Spalt. Diese Verletzungen lähmen innerhalb von Minuten die Atmung. Sie könnten, vermutet Bratzke, von mehreren Schlägen stammen, die die Wirbel auseinandergetrieben haben: „Das tut wahnsinnig weh.“

Daß die Hiebe äußerlich zuerst nicht zu erkennen waren, könne daran gelegen haben, daß Fiszman seine – seit der Tat verschwundene – Lederjacke trug. Einige der anderen Verletzungen könnten älteren Datums sein, nicht aber die tödlichen. Fiszman sei schon tot gewesen, als er im Wald auf dem Gesicht lag. Sonst, so der Gerichtsmediziner, hätten sich winzige Spuren des Bodens in seiner Lunge finden müssen.

Das alles hält einer der beiden des Mordes Angeklagten schwer aus. Sven Körppen senkt den Kopf, wippt hin und her, krümmt sich, wischt sich die Stirn und signalisiert, daß ihm sehr übel werde. Richter Elliesen verfügt eine kurze Pause. „Mir ist schlecht“, soll auch Jakub Fiszman am Entführungsabend gemurmelt haben, hatte Sven Körppen in seinem Geständnis gesagt, nachdem er, schwer zusammengeschlagen auf der Ladefläche des Lieferwagens lag.

Sven Körppen hatte auch ausgesagt, Jakub Fiszman habe am 3. Oktober noch gelebt. Sein Vater sei damals mit Fiszman in den Wald gegangen. Er selbst sei, vom Vater immer wieder zum Mittun an der Entführung gezwungen, nur der Fahrer gewesen. Er habe im Wagen gewartet und gedacht, Rainer Körppen bringe den Entführten in ein neues Versteck.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß Rainer Körppen am 3. Oktober seinem Opfer Jakub Fiszman die tödlichen Schläge versetzt hat.

Rainer Körppen sitzt, seit die Gutachter aussagen, wie versteinert auf der Anklagebank, die rechte Faust um die Stuhllehne geklammert. Er, der die Tat vehement leugnete und wortreich seinen Sohn und einen angeblichen unbekannten Komplizen beschuldigte, er ist still geworden. Die Beweise lassen sich nicht mehr einfach wegreden.

Genau das aber hat Rainer Körppen wochenlang versucht. So, wie es ihm immer wieder gelungen war. Reden, reden, reden wie ein Automobilverkäufer. Und – nicht ohne Erfolg – alle Welt glauben machen, der Malermeister Rainer Körppen sei ein zwar vorbestrafter, eigentlich aber braver Mann, dem nur das Schicksal immer wieder übel mitgespielt habe.

Wie aber sind etwa die zehntelmillimeterkleinen Blutspritzer in seine Garage gekommen, eingesaugt und tief verborgen in den Poren frisch übertünchter Gasbetonsteine? Sein Sohn hatte ausgesagt, Rainer Körppen habe Fiszman zwei Tage und Nächte in der Garage gefangengehalten.

Daß die Blutspritzer von Körppen selbst stammen könnten, hat eine DNA-Analyse des Bundeskriminalamtes widerlegt: In der Garage der Körppens, in einem handtuchschmalen Verschlag, hat Jakub Fiszman geblutet. Und wieso auch sonst waren die Wände des kaum einen Schritt breiten Verschlags frisch gestrichen, als die Polizei eintraf? Außerdem seien die fraglichen Steine vorher mit einer Bürste oder einem Hochdruckstrahler gereinigt worden, sagen die Spurensachverständigen.

Auch der Fund einer Zigarettenkippe im Entführungsauto und das Fasergutachten des Landeskriminalamtes haben Rainer Körppen nun schwer belastet. Die gleichen Fasern wie am Leichenfundort waren auch an Jakub Fiszmans Kleidung und in den Autos beider Angeklagter gefunden worden.

Rainer Körppen aber kämpft. Er kämpft auch im Detail gegen die zentnerschwere Beweislast. Da ist zum Beispiel die Mineralwasserflasche aus seiner Garage, an der Speichelspuren des Entführten gefunden wurden. Würde das Gericht Rainer Körppen folgen, dann hätte an diesem Fund seine Frau Renate schuld. Sie, die in der Firma von Fiszman angestellt war, phantasierte der Angeklagte, habe die Wasserflasche wohl mit in den Betrieb genommen. Dort habe dann unbemerkt ihr Chef, Jakub Fiszman, daraus getrunken. Die ordentliche Hausfrau Körppen habe das Leergut schließlich wohl wieder mit nach Hause genommen und in die Garage gestellt.

Also hörte das Gericht auch noch jene Fiszman-Mitarbeiterin, die erklärte, Getränke, Kaffee, Tee und Mineralwasser habe es in der Firma gratis gegeben.

Rainer Körppens Verteidiger, Wolfgang Euler und Gerhard Knöss, beide renommiert in Strafprozessen, konnten ihren Mandanten bisher offensichtlich nicht daran hindern, derartige Geschichten wie auch diverse Versionen eines Tathergangs zu schildern. „Die lügen beide, daß sich die Balken biegen, der Vater aber mehr“, sagen die BesucherInnen unten im Gerichtssaal. Oben auf der Presseempore heißt der Prozeß, der noch lange dauern kann, „Körppens Märchenstunde“. Zu der gehören auch die Aussagen etlicher dubioser Zeugen, denen der Vorsitzende Richter Elliesen wochenlang breiten Raum zur Selbstdarstellung einräumte.

Daß aber seine Anwälte diesem Rainer Körppen, der sich für einen einsamen Einzelkämpfer hält, wohl nur schwer raten können, schimmert auch durch, wenn es vor Gericht um sein Privatleben geht.

Eine ehemalige Mitarbeiterin der Firma Fiszman sagte aus, sie habe sich mit der Ehefrau Renate angefreundet. Was nicht einfach gewesen sein kann. Kollegin Körppen sei nicht besonders beliebt gewesen, habe in die Firma, die „wie eine Familie“ gewesen sei, nicht recht hineingepaßt. Überpenibel und „sehr auf Äußerlichkeiten bedacht“, habe sie wenig Einblick in ihr Familienleben gegeben. Die Zeugin Britta H., ein wenig geltungssüchtig auf ihre psychologische Begabung pochend, hatte sich gemüht, trotzdem Einblick in diese Ehe zu nehmen, weil sie Mißhandlungen vermutete.

Renate Körppen sei unglücklich gewesen. Sie habe viel geweint. Rainer Körppen, gesellig und „oberflächlich charmant“, habe neben seiner eigenen keine andere Meinung gelten lassen. Er habe seine Frau „nicht geachtet“, sie „sadistisch“ behandelt und „gedemütigt“, sie betrogen und belogen: „Er machte immer genau das, was sie nicht wollte.“ Eine Scheidung sei für sie dennoch „undenkbar“ gewesen. Daß Renate Körppen, deren Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, von der ganzen Entführung in der Körppen-Garage nichts bemerkt habe, passe zu ihr: „Sie hat immer die Augen zugemacht.“

Vergangenen Montag schilderte der ältere Bruder des Ermordeten, Georg Fiszman, dem Gericht die jahrelange Todesangst seiner Familie. Nachdem im März 1991 sein 7jähriger Sohn Peter und dessen Schulfreundin Lisa entführt worden waren, hatte es immer wieder anonyme Todesdrohungen gegeben. Die gekidnappten Kinder waren unter bisher nicht geklärten Umständen wieder freigelassen worden. Auch dieses Kidnapping wird nun den Körppens angelastet und in Frankfurt mit verhandelt. Georg Fiszman war der Mann, der das geforderte Lösegeld von vier Millionen Mark nach einem ersten, gescheiterten Versuch am 10. Oktober 1996 an der A3 bei Idstein hinterlegt hatte, nachdem die Entführer in einem Brief gedrängt und mitgeteilt hatten, daß Jakub Fiszman verletzt sei und ärztliche Hilfe brauche.

Das Geld war später, vergraben im Garten der Eltern von Rainer Körppen, wiedergefunden worden. Da war Jakub Fiszman schon fast zwei Wochen tot. In ihrem Brief hatten die Entführer beteuert: „Wir sind keine Mörder.“ Heute wird der Prozeß in Frankfurt fortgesetzt. Der Gerichtsmediziner Hansjürgen Bratzke wird am kommenden Montag wieder zu Wort kommen.