Karla Faye Tucker per Giftspritze getötet

Die medial aufbereitete Hinrichtung der Karla Faye Tucker und die Debatte darum haben die Akzente der Diskussion über die Todesstrafe in den USA verschoben – in den Bereich der Religion und der Mythologie  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Karla Faye Tucker ist tot. Die wegen Mordes zum Tode verurteilte 38jährige starb am Dienstag abend um 18.45 Ortszeit durch eine Giftspritze in Huntsville, Texas. Gnadengesuche und die Anrufung des obersten texanischen Gerichts sowie des obersten Bundesgerichts brachten weder Strafaufschub noch Verschonung. Die Gerichte waren angerufen worden, weil das texanische Gnadenrecht nach Auffassung der Anwälte Karla Faye Tuckers unfair und verfassungswidrig ist. Es sieht weder die Anhörung des Todeskandidaten noch überhaupt den Zusammentritt des Ausschusses zwingend vor. Der Gouverneur von Texas, der ohnehin die Vollstreckung des Urteils nur um 30 Tage hätte aufschieben können, machte von diesem Recht keinen Gebrauch.

Während die Hinrichtung von 37 Menschen in Texas im Verlaufe des vergangenen Jahres in den Vereinigten Staaten kaum Aufsehen erregte, nahm die Vollstreckung des Urteils an Karla Faye Tucker die Züge eines Autodafés an, einer öffentlichen Hinrichtung. Am Wochenende strahlte CNN live ein Interview mit der Todeskandidatin aus, das Christian Broadcasting Network sendete am Vollstreckungstag selbst ein vorher aufgezeichnetes Interview. Ab fünf Uhr nachmittags berichtete CNN live aus Huntsville, wo sich vor dem Gefängnis mehrere hundert Befürworter und Gegner der Todesstrafe versammelt hatten. Fox News Channel sendete eine Stunde vor der Hinrichtung Fotos der übel zugerichteten Leichen der Opfer des Mordes aus dem Jahre 1983 und warnte vorher seine Zuschauer, Kinder vom Bildschirm fernzuhalten.

Aufsehen hatte dieser Fall erregt, weil Karla Faye Tucker im Gefängnis zum Christentum konvertierte und – weil sie eine Frau war, die erste seit 139 Jahren, die in Texas hingerichtet wurde. Ihr Leben, ihre Tat und ihre Umkehr sind Gegenstand eines 1992 erschienenen Buchs, das ihre frühe Verwahrlosung sowie ihre „Wiedergeburt in Christus“ nachzeichnet.

Ein Jahr später begann die „Christian Coalition“, ein Zusammenschluß von evangelischen Kirchen und Gläubigen zur Durchsetzung politischer Ziele und eine Befürworterin der Todesstrafe, sich des Falls Tucker anzunehmen. Ihr Präsident Pat Robertson sprach sich für eine Begnadigung aus.

Ihr Fall, der bald auch außerhalb von Texas und des Südens der Vereinigten Staaten diskutiert wurde, in dem die Christian Coalition ihre Hochburgen hat, warf noch einmal grundlegend die Frage nach dem Sinn der Todesstrafe auf – und brachte eine Akzentverschiebung in einer Diskussion, in der Menschenrechtler in den vergangenen Jahren auf verlorenem Posten zu stehen schienen. Nicht Grausamkeit, Unumkehrbarkeit und möglicher Justizirrtum standen im Zentrum der Argumentation, sondern das Verhältnis von Gnade und Recht. Bisher ist nicht zu erkennen, daß diese Debatte die Positionen grundlegend verändert hat. USA Today veröffentlichte am Tag nach der Exekutiuon ein Meinungsbild seiner Leserschaft, in dem sich eine deutliche Mehrheit für die Tötung Tuckers ausspricht. Auch der Christliche Sender gab die Meinung seiner Zuhörer wieder und konstatierte eine Mehrheit für die Todesstrafe.

Eine Akzentverschiebung ist auch in den Argumenten der Befürworter der Todesstrafe zu erkennen, und zwar seit dem Todesurteil gegen den Bombenattentäter von Oklahoma City. Die Todesstrafe wird als Voraussetzung dafür bemüht, den Hinterbliebenen und Überlebenden eine Wiederaufnahme ihres durch die tragischen Ereignisse zerstörten Lebens zu ermöglichen. „Die Welt ist ein besserer Ort geworden“, kommentierte der Ehemann der von Karla Tucker ermordeten Deborah Thornton nach der Hinrichtung Tuckers – das Menschenopfer als Voraussetzung zur Heilung und eine Verlagerung der Diskussion aus dem Bereich des Straf- und Menschenrechts in den von Religion und Mythologie.