Deutschland sträubt sich gegen EU-Naturschutz

Bundestag stimmt über Naturschutzrichtlinie ab. Europäischer Gerichtshof droht schon mit Millionenstrafe  ■ Von Annette Jensen

Von Enteignung ist die Rede und von einer großen Gefahr für den Agrarstandort Deutschland. Die Veranstaltungen der Bauernlobbyisten vor allem in Niedersachsen sind brechend voll. Um Käfer zu retten, würden Bauern geopfert, heißt es.

Es geht um die Umsetzung der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) in deutsches Recht. Mit dieser bisher wichtigsten Naturschutzvorgabe aus Brüssel soll ein EU-weites Netz von Schutzgebieten zur Erhaltung bedrohter Lebensräume geschaffen werden. Heute stimmt der Bundestag über einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses ab. So wie es aussieht, wird die Koalition den Kompromiß ablehnen.

Doch auch bei einem zweiten Vermittlungsverfahren kann nichts Neues herauskommen. Denn die Länder werden es weiter ablehnen, per Bundesgesetz zu Ausgleichszahlungen an Bauern gezwungen zu werden, die sich durch ein Schutzgebiet in ihrer Entwicklungsmöglichkeit gehemmt sehen. Und sie sitzen wegen eines drohenden EU-Bußgeldverfahrens am längeren Hebel.

Bis zum Februar muß Deutschland dem europäischen Gerichtshof berichten, wie die bereits 1992 verabschiedete FFH-Richtlinie umgesetzt werden soll. Sind die Richter damit nicht zufrieden, werden sie ein zweites Verfahren gegen Deutschland anstrengen. Das Urteil wird im Spätsommer erwartet. Die Höhe des Strafgelds richtet sich nach Schwere und Dauer des Verstoßes gegen EU-Recht und nach der beabsichtigten Abschreckungswirkung.

Gerade dieser letzte Punkt könnte die Richter zur Strenge veranlassen: Denn bereits zum dritten Mal müssen sie sich gegenwärtig mit Deutschlands mangelhafter Umsetzung des anderen wichtigen Naturschutzgesetzes, der Vogelschutzrichtlinie, beschäftigen. So könnte das Bußgeld den Höchstwert von 791.293 Ecu am Tag (mehr als 1,5 Millionen Mark) erreichen – ein teurer Spaß angesichts der Tatsache, daß insgesamt für Naturschutzforschung und -förderung im Bundeshaushalt 55 Millionen Mark im Jahr vorgesehen sind.

Doch nicht nur dem Bundeshaushalt drohen ohne das Gesetz massive Einbußen. Auch die deutschen Bauern erleiden durch die Nichtumsetzung Einkommensverluste. Denn Geld für Pflegemaßnahmen und Landankäufe aus dem EU-Fördertopf „Life“ gibt es nur, wenn das Gelände als FFH- Gebiet in Brüssel gemeldet ist. Etwa zehn Millionen Mark sind den deutschen Landwirten allein 1995 auf diese Weise verlorengegangen, hat der Naturschutzbund (NABU) ausgerechnet.

Insgesamt 176 deutsche Gebiete sind inzwischen in Brüssel registriert – Italien hat fast 2.300 Flächen und damit über 15 Prozent der Landesfläche unter Schutz gestellt. Spitzenreiter ist Dänemark mit 25 Prozent. Geprüft wird jetzt, ob die Schutzgebiete für das europäische Netz von Bedeutung sind. Mehrere Jahre werden Biologen damit beschäftigt sein, Entwicklungspläne für die einzelnen Gebiete zu erarbeiten. Alle sechs Jahre sollen die Länder dann Berichte über die Fortschritte liefern. Umweltschützer setzen große Hoffnungen auf das Konzept.

Viele Bundesländer zögern vor allem deshalb, weil sie Angst um ihre Planungshoheit haben. Und nach Informationen des NABU leitet die Bonner Regierung bestimmte Anmeldungen aus demselben Grund nur langsam nach Brüssel weiter. Ist ein Gebiet nämlich erst einmal bei der EU gemeldet, will die Kommission beim Bau von Autobahnen und Industriegebieten mitreden. „Daß das dann eine Gefahr zum Beispiel für den Transrapid bedeutet, ist nicht auszuschließen“, meint Jürgen Jakobs, Sprecher des Bundesamtes für Naturschutz.

Doch die Verzögerungstaktik funktioniert schon heute nicht mehr: Die FFH-Richtlinie gilt auch ohne nationale Umsetzung. Das haben einige Verkehrspolitiker vor zwei Wochen schmerzlich erfahren, als die Bundesverwaltungsrichter den Bau der Ostseeautobahn vorläufig gestoppt haben. Gutachter müssen jetzt erst einmal herausfinden, ob die Wakenitz Lebensraum von seltenen Tier- und Pflanzenarten ist. Der EU-Kommission liegen bereits weitere Prüfanträge vor. Auch der geplante Braunkohletagebau Garzweiler II gehört dazu.