Erstaunen in Salvador da Bahia

■ Vorreiter als Schlußlicht: Steht der ethnomusikologische Studiengang der FU vor dem Aus?

In dem kürzlich vom akademischen Senat der FU verabschiedeten Strukturplan taucht die einzige Professur für Ethnomusikologie nicht mehr auf. Offenbar zählt sie zu denjenigen Professuren, die bis zum Jahr 2003 von 560 auf 368 Stellen reduziert werden sollen.

Dabei hat die Erforschung außereuropäischer Musik einst in Berlin begonnen. Anfang dieses Jahrhunderts sammelten Berliner Wissenschaftler die ersten phonographischen Aufnahmen afrikanischer und asiatischer Musik und gründeten zu ihrer Auswertung das Fach Vergleichende Musikwissenschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg expandierte das Fach unter dem neuen Namen Ethnomusikologie, besonders in den USA, wo es heute fast an jeder größeren Universität vertreten ist. Bereits in den sechziger Jahren veröffentlichten Ethnomusikologen Plattenaufnahmen afrikanischer Trommelensembles oder australischer Didgeridoo-Spieler – Jahrzehnte vor dem heutigen Weltmusikboom.

In Berlin emanzipierte sich die Vergleichende Musikwissenschaft erst in den siebziger Jahren von der historischen Musikwissenschaft zum eigenständigen Studiengang, bis heute der einzige in Deutschland. Danach entwickelte sich eine Fülle ethnomusikologischer Aktivitäten: Auch an TU und Humboldt-Universität lehrten damals EthnomusikologInnen, die Musikethnologische Abteilung des Völkerkunde-Museums und das Internationale Institut für traditionelle Musik veranstalteten regelmäßig Konzerte und publizierten Tonaufnahmen sowie Fachbücher und eine Zeitschrift.

Genützt hat es wenig: Mit der Schließung des Internationalen Instituts für traditionelle Musik 1996 ging bereits ein entscheidender Standort der Ethnomusikologie in Berlin verloren. Zudem wird seit Jahren am FU-Institut für Vergleichende Musikwissenschaft gespart – die zweite Professur wurde bereits kurz nach ihrer Einrichtung wieder gestrichen, Assistentenstellen nicht besetzt und die Mittel studentische Hilfskräfte gekürzt. Mit dem Tod des einzigen Professors wurde ein Berufungsverfahren notwendig, das seit zwei Jahren nicht abgeschlossen wird. Eine Vertretung führt seitdem das Institut, doch selbst diese Stelle ist zur Zeit ungesichert.

In diesem Semester haben sich die Studenten massiv eingemischt. Bei ihrer Demonstration am 20. Januar erreichten sie immerhin ein Gespräch mit FU-Präsident Gerlach, der ihnen den Erhalt der Vergleichenden Musikwissenschaft zusicherte. Eine sofortige Besetzung der vakanten Professur lehnte er jedoch ab und verwies auf Verhandlungen mit der Humboldt-Universität über den Verbleib des Studiengangs. An der HU wurde jedoch schon kurze Zeit nach der Wende die ethnomusikologische Professur mit einem systematischen Musikwissenschaftler, Wolfgang Auhagen, besetzt. Auhagen sagt bereits heute: „Ohne die notwendige Infrastruktur, also Bibliothek, Audiothek, Abhörraum und vor allem Stellen, können wir keinen musikethnologischen Studiengang anbieten.“

Auch für die internationale Kooperation wäre die Schließung des Instituts an der Freien Universität ein Rückschlag. Die Vergleichende Musikwissenschaft in Dahlem hat seit Jahren Kontakte zur Universität von Salvador da Bahia in Brasilien.

Die Nachrichten von den derzeitigen Schwierigkeiten lösten dort ungläubiges Entsetzen aus: Ausgerechnet im reichen Deutschland sollte es kein Geld für das einzige ethnomusikologische Institut geben? In Bahia wurde erst vor kurzem ein neuer Studiengang Ethnomusikologie eingerichtet. Christine Gerischer