Jassir Arafat Haus ist noch immer nicht bestellt

■ Ein Pressebericht gibt den Spekulationen über die Nachfolge des PLO-Chefs neue Nahrung

Jerusalem (taz) – Bestellt ist das palästinensische Haus nicht. Und sollte der „Alte“, wie PLO-Chef Jassir Arafat von den Seinen genannt wird, sterben, ist die Frage seiner Nachfolge offen. Und ein Machtkampf unter den palästinensischen Eliten alles andere als ausgeschlossen. Seit dem Flugzeugabsturz in der libyschen Wüste vor knapp sechs Jahren, den Arafat, allerdings nicht ganz unbeschadet, überlebt hat, ist die Diskussion um seine Nachfolge nicht abgerissen.

Daran waren, gerade in den vergangenen Monaten, die Israelis nicht ganz unbeteiligt. Immer wieder wurde in der israelischen Presse das Gerücht kolporiert, Arafat sei schwerkrank und dem Tode nahe. Die zitternden Lippen und Hände des inzwischen 67jährigen, Folge des Flugzeugabsturzes, wurden ausführlich im israelischen Fernsehen gezeigt. Gesundheitschecks und Dementis seiner Frau Suha konnten die Spekulationen nicht beenden.

Das britische Magazin Foreign Report hat dieser Spekulation gestern eine neue Wende gegeben. Es berichtete, Arafat habe bei seinem Besuch in Washington im vergangenen Monat gegenüber US- Präsident Bill Clinton den Namen seines Nachfolgers preisgegeben. Auserkoren sei Mahmoud Abbas, in palästinensischen Kreisen besser bekannt unter dem Namen Abu Mazen. Der 63jährige Jurist ist der Unterzeichner der Oslo- Vereinbarungen in Washington und die rechte Hand Arafats im Exekutivkomitee der PLO. Er gilt als besonders konziliant und gemäßigt. Vor gut zwei Jahren handelte er mit dem außenpolitischen Sprecher der Arbeitspartei, Jossi Beilin, eine Art Vorvertrag für eine endgültige Lösung des Palästina- Problems aus. Durch die Wahl des Likud-Führers Benjamin Netanjahu zum Ministerpräsidenten im Mai 1996 wurde das Abkommen allerdings zur Makulatur. Unumstritten ist Abu Mazen in der größten Palästinenserorganisation Al- Fateh jedoch nicht. Puristen werfen ihm einen aufwendigen Lebensstil vor; Geldverschwendung und Korruption werden ihm nachgesagt. Auf Kritik stieß insbesondere der Bau einer Villa, die sich der PLO-Funktionär im Gaza-Streifen errichten ließ.

Zwar wurde der Name Abu Mazen in Zusammenhang mit Spekulationen über eine mögliche Arafat-Nachfolge bisher stets genannt. Doch haben sowohl Chefunterhändler Saeb Ereikat, der bei Arafats Gesprächen mit Clinton zugegen war, als auch Arafat-Sprecher Marwan Kanafani entschieden dementiert, daß Arafat eine solche Äußerung gegenüber Clinton gemacht hat. Andere Arafat nahestehende Funktionäre wollten sich nicht äußern.

Auch wenn eine derartige Ernennung nicht völlig auszuschließen ist, erscheint sie doch sehr unwahrscheinlich. Nach den verfassungsrechtlichen Bestimmungen wird der Parlamentspräsident, Ahmed Qurei (Abu'l Ala), Nachfolger des Präsidenten, sollte diesem etwas zustoßen. Innerhalb von sechs Monaten muß dann ein neuer Präsident gewählt werden.

Angesichts der schwindenden Arbeitskraft des Präsidenten haben Gerüchte um seine Nachfolge auch die palästinensische Politikerklasse in Aufruhr versetzt. Als besonders mächtig und einflußreich gelten die Geheimdienstchefs Mohammad Dahlan im Gaza-Streifen und Jibril Rajoub im Westjordanland. Doch Rajoub fiel in den vergangenen Wochen wegen eines Disputs mit einem Mitglied des Zentralkomitees von Al- Fatah in Ungnade. Und seine nie öffentlich geäußerten Ansprüche auf die Arafat-Nachfolge wurden arg zurechtgestutzt. In einem Interview mit der palästinensischen Zeitung Al-Quds erklärte er reumütig, daß er sich ein palästinensisches Volk ohne Arafat nicht vorstellen könne. Der als „Rambo“ verschriene Rajoub dürfte seine Chancen verspielt haben.

Der erst 36jährige Dahlan gilt dagegen als Ziehsohn Arafats, der die Nachfolge des ehemaligen Geheimdienstchefs Hassan Salameh angetreten hat, der Anfang der achtziger Jahre bei einem Mordkomplott von Israelis in Beirut in die Luft gesprengt wurde. Ernennen kann Arafat seinen Nachfolger dennoch nicht. Gleichwohl gilt sein Wunsch den meisten seiner Anhänger immer noch als Befehl. Der Machtkampf im palästinensischen Haus dürfte freilich erst nach Arafats Tod offen ausbrechen. Georg Baltissen