: Die Aufgewecktesten kiffen
■ Wer nutzt Cannabisprodukte wozu und mit welchem Ergebnis? Ein Symposium
Was macht Cannabis mit dem Rauschsucher? Macht die Droge abhängig? Macht sie passiv? Mutlos? Lustlos? Wie wird sie in die Biografie des Konsumenten eingebaut? Gibt es typische Hascher-Karrieren? Seit Jahrzehnten (im Grunde seit 1929, so lange ist Cannabis in Deutschland verboten) tobt die Diskussion. Es prägt sie vor allem eins: Mangel an Sachkenntnis. Jeder quatscht mit. Dabei fehlen bis heute und weltweit grundlegende und repräsentative Untersuchungen zum Cannabiskonsum.
Mit einem „Symposium Cannabis sativa / indica“, das dieser Tage im Schlachthof stattfindet, soll der derzeitige Wissensstand in Sachen Cannabis publik gemacht werden. Ziel des Symposiums, einer Kooperation von Uni Bremen, dem BISDRO (Bremer Institut für Drogenforschung), dem Gesundheitssenator und dem Landesdrogenbeauf-tragten, ist, die Diskussion zu „entdramatisieren“, eine neue Drogenpolitik anzuregen und einen „sinnvolleren“Umgang mit der Droge zu ermöglichen. Interessenten können noch heute und am Sonntag teilnehmen.
Interessanteste Ergebnisse des gestrigen ersten Tages: Die Gefahr, daß Cannabis abhängig macht, ist minimal. Auch wenn der Konsum von Cannabis polizeilich toleriert wird, macht ein großer Teil der Bevölkerung überhaupt keine Drogenerfahrungen. Und von denen, die es ausprobierten, hören die meisten sofort wieder auf mit der Droge. Eine Cannabis-Karriere ist allerdings nicht vorhersagbar, es gibt immer auch „User“, die große Mengen der Droge über sehr lange Zeiträume nehmen. Langzeitkonsumenten reduzieren jedoch meist den Konsum und integrieren ihn in ihr Leben. Cannabiskonsum ist nach wie vor ein Phänomen der „Postadoleszenz“, betrifft also meist den biografisch kurzen Zeitraum zwischen 20 und 24 Jahren. Wer früher anfängt, hat in der Regel eine „intensivere“Drogenkarriere. Und vieles spricht dafür, daß Art und Intensität des Cannabis-Konsums völlig unabhängig davon sind, wie hart bzw. lax der Staat die Konsumenten verfolgt.
Die vorstehenden Aussagen sind Ergebnisse einer groß angelegten, noch nicht publizierten niederländischen Studie, die der Amsterdamer Soziologe Peter Cohen am Freitag vorstellte. In einer repräsentativen Untersuchung wurden 4.500 Amsterdamer (ab 12 Jahre) nach ihrem Cannabiskonsum befragt. Amsterdam, eine Stadt, in der 350 „Coffeeshops“auf Kundschaft warten, bietet Forschern interessante Voraussetzungen: Seit 25 Jahren wird dort ohne Stress preiswerter Stoff der besten Qualität konsumiert. Die niederländische Untersuchung ist Teil einer geradezu globalen Vergleichsstudie zur Frage, welchen Einfluß Drogenpolitik auf den Drogenkonsum hat. Entsprechende Erhebungen finden einerseits im für Konsumenten weicher Drogen relativ liberalen Bremen und andererseits in San Francisco statt. Hier führt der Staat ausdrücklich einen „Krieg den Drogen“. Insgesamt stehen für die Studien 1,5 Millionen Mark zur Verfügung; die Bremer Befragung, die schon angelaufen ist, wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 500.000 Mark unterstützt. Mit ersten Ergebnissen rechnet Stephan Quensel (Uni Bremen und BISDRO) für den Herbst.
Heute steht „Cannabis in Recht und Medizin“auf dem Programm (Vorträge ab 10 Uhr, Arbeitskreise und Talkrunden ab 14 Uhr). Es geht z.B. um Fragen im Zusammenhang mit AIDS- und Krebstherapie. Drei einschlägig engagierte Strafrechtler wollen rechtliche Fragen erläutern. Am Sonntag (ab 11 Uhr; ab 16 Uhr Talkrunde und anschließend ein berauschendes Fest) wird die „Drogenpolitik der Zukunft“diskutiert. Um 13 Uhr dürfte der interessanteste Termin sein: Dann wird Stephan Quensel erste Ergebnisse einer 5-Städte-Vergleichsstudie vorstellen (Bremen, Dublin, Newcastle, Rom, Groningen), die u.a. den Drogenerfahrungen 10- und 14jähriger Schüler nachgeht. Eine These Quensels: Cannabiskonsum ist Teil des „devianten Syndroms“und also abweichendes Verhalten wie Rauchen, Schwarzfahren und Schuleschwänzen. Quensel ist der Ansicht, daß die jungen Hascher keineswegs Demotivierte, sondern vielmehr „die Aufgewecktesten“seien. Ein Ziel der Studie, die Mitte des Jahres abgeschlossen sein soll: Ratschläge für den Umgang der Schule mit kiffenden Schülern. BuS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen