Phphph! Ruh ma ehmt!

Pieke Biermanns Berliner Hauptkommissarin Karin Lietze ist wieder in Aktion. Es macht peng, boing und bumm, doch manchmal gibt es auch einen Ort der Stille  ■ Von Bernd Erich Wöhrle

Achtung: Bei der Lektüre empfiehlt es sich, eine Vorratspackung Oropax bereitzuhalten. Schon im Vorspann des Romans „Vier, Fünf, Sechs“ geht es los: „Kreischende Sirenen. Gellende Menschen. Piepende Funkgeräte. Megaphongebell. Bremsen. Klatschende Wassermassen auf glühendes Metall. Kracher von immer neuen Explosionen.“ Das ist literarisch auf der Höhe von Pengwörtern, aber schön drastisch. Drastisch auch die gebrüllten Dialogfetzen: „Laß mich los, du Schwein!“ „Worauf Sie Gift nehmen können.“ „Ruh ma ehmt! Ick wer' wahnsinnich.“

Dann eine gute Idee: Schauplatz Flughafen Tempelhof. Jahr 1994. Was als Katastrophenübung harmlos beginnt, wird zum Hintergrund eines Attentats. Ein leitender Beamter des Polizeipräsidenten wird in die Luft gesprengt. Die Dritte Mordkommission unter Leitung von Karin Lietze wird mit den Ermittlungen im Fall Lüsebringk beauftragt. Aber wo die Ermittler auch hinlangen, halten sie Filz in den Händen. Stichwort: Vereinigungskriminalität. Kontrapunktisch zur lauten Ermittlungsarbeit – die Ermittler „knurren“, „blöken“, „poltern“, „bellen“ und „platzen“ unentwegt – gibt es jedoch einen Ort der Stille: Das Gängesystem unter dem Flughafen Tempelhof dient einem menschlichen Maulwurf, Sohn des Erbauers der unterirdischen Heizungs- und Bewässerungsanlagen, als letztes Refugium. Monologisierend schreitet dieser Alte – Typ Mielke, selbst der obligatorische Hut fehlt nicht – auf der Flucht vor den lärmenden Veränderungen über ihm durch seine Gänge.

Der Roman ist gebaut wie ein Tornado: innen die Windstille. Dann kommt der erste, konzentrisch angelegte Wirbel: Karin Lietze und ihr Team. Dann der zweite, größere Wirbel: Die Alliierten ziehen aus Berlin ab, feiern nochmal D-Day. Dann kommen die Bonner und die Russenmafia. Die Regierenden in Berlin meinen zu schieben, aber sie werden geschoben. Dann gibt es noch quer einschießende Wirbel: zum Beispiel eine Selbsthilfegruppe von Prostituierten namens „Migräne“, Informantinnen diesseits der Bettkante, daher die eigentlichen Durchblickerinnen des Geschehens. Und der künftige Macher in der Stadt: der erste russische Pate.

Pieke Biermann, die sich mit „Potsdamer Ableben“, „Violetta“ und „Herzrasen“ in die erste Reihe der deutschsprachigen Kriminalliteratur geschrieben hat, kennt ihren John Dos Passos und ihren Döblin. Großstadtromane lassen sich nun mal eher als Kakophonie denn als Symphonie schreiben, und von Idyllen mit lauen Lüftchen sind sie zum Glück ebenfalls weit entfernt. Biermann schreibt aus dem Geiste der akustischen Sinneserregung, wie wir es aus dem Comic strip kennen, und sie weiß, was sie tut: „Wie 'n Sack Landeier! keuchte es durch den Türausschnitt – phphph – hätte dem – phphph – Arsch den – phphph – Hörer aufknallen – phphph – sollen. Damit verschwand Jokisch (ein Untergebener von Karin Lietze) aus der Optik, aber nicht aus der Akustik.“ Das ist das Erzählprinzip dieses Romans, dessen akustische Intensität jedoch das Handlungsgeschehen überdröhnt. Und das ist das Problem. Die Romanfiguren schrumpfen unter dem Akustikterror zu hopsenden und grimassierenden Strichmännchen, die sich nur noch über eine stereotype Gestik Gehör verschaffen können.

„Lietze hörte auf, ihre Nase zu malträtieren, und lachte.“ „Lietze verzog ungläubig das Gesicht.“ „Lietze ließ sich auf einen Stuhl sinken“, während ihr Untergebener Jokisch „hopste“. Und wenn sie nicht hopsen oder auf Stühle sinken, sondern sie Laute ab: „Als das allgemeine Grunzen ... verebbte, schlürfte der Rest weiter.“ „O Kalle ..., stöhnte Schade.“ Und Karin Lietze geht wie folgt mit sich zu Rate: „Und dieser verdammte Fall Lüsebringk hat mit all dem zu tun! knurrte sie (lautlos) ihre Nase an, die daraufhin noch lauter zwickte.“ Noch lauter zwickte? Spätestens ab dieser Stelle ist es ratsam, aus Selbstschutzgründen und um die Derangierung des eigenen Nervenkostüms zu vermindern, den Roman mit Ohrenstöpseln zu Ende zu lesen.

Auch in den Short stories „Berlin, Kabbala“, die in den Jahren 91 bis 97 geschrieben wurden, bleibt Pieke Biermann ihrem Akustikstil treu. Aber die kurze Form verträgt diese Art des Erzählens sehr viel besser.

Hinter der Lärmwolke werden plötzlich scharf konturierte Milieuschilderungen sichtbar: ein durchgeknallter Freier, der das Motorrad einer Prostituierten manipuliert. Eine in ihrer Phantasie amoklaufende Präzisionsschützin. In drei der insgesamt sieben Erzählungen steht „Eddy“ im Mittelpunkt, eine 93jährige Exkommunistin, Noch-Lesbe, Menschenkennerin und Biertrinkerin. Sie ist es, die ihrer Betreuerin und Bewunderin, die eine Detektei betreibt, die ermittlungsentscheidenden Hinweise gibt: „Holsten knallt am dollsten, röhrte es hinter mir her.“

Pieke Biermann: „Vier, Fünf, Sechs“. Roman. Goldmann-Verlag, München 1997, 255 S., 18 DM

Pieke Biermann: „Berlin, Kabbala“. Short stories. Transit-Verlag, Berlin 1997, 142 S., 28 DM