Dokumentation des offenen Briefes gegen das geplante Berliner Holocaust-Denkmal

Das geplante „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ ist kein freies Kunstwerk, das jenseits äußerer Zweckbestimmung seine Würde und seinen Wert nur in sich selbst trägt. Bei einem Mahnmal ist ausdrücklich zu fragen, in welcher Weise es seiner vorgegebenen Bestimmung und damit den Menschen, die es einmal betrachten werden, nutzen kann. (...)

Wir sehen nicht, wie eine abstrakte Installation von bedrückend riesigem Ausmaß – auf einem Feld von der Größe eines Sportstadions – einen Ort der stillen Trauer und Erinnerung, der Mahnung oder sinnhaften Aufklärung schaffen könnte. Jedes Gebilde und jede Widmung, zumal sie nicht allen Opfern des nationalsozialistischen Rassen- und Herrenmenschenwahns gilt, wirkt künstlich und steht in krassem Mißverhältnis zu den vorhandenen Plätzen authentischer Geschichte, Zeugenschaft und Erinnerung.

Nur wenige hundert Meter entfernt vom Areal des geplanten Mahnmals entsteht auf dem Gelände des ehemaligen Gestapo- Hauptquartiers das Museum und Dokumentationszentrum der „Topographie des Terrors“; vor den Toren Berlins liegt die Gedenkstätte des früheren Konzentrationslagers Sachsenhausen; in Berlin gibt es die Villa der Wannsee-Konferenz, gibt es die Mahnmale an den Orten der Deportation und künftig auch das neugebaute Jüdische Museum.

Gegenüber diesen konkreten Plätzen der Erinnerung, so fürchten wir, wird ein gigantisches „nationales“ Mahnmal ein Ort eher der Ablenkung, der Entwirklichung und kalten Abstraktion bleiben: kein Zeugnis der Vergangenheit, kein Zeichen der Zukunft. Daher appellieren wir an den Bundeskanzler und die Bundesregierung, an den Deutschen Bundestag, an das Land Berlin und den privaten Förderkreis, jetzt keine Entscheidung über ein so umstrittenes Vorhaben nur aus der Annahme zu treffen, daß etwas „um der Sache selbst willen“ entschieden werden müßte. Es darf in dieser Frage keinen Zwang und keinen Automatismus geben, der sich über alle Zweifel und alle Bedenken hinwegsetzt. Ein Verzicht aus Einsicht würde alle Beteiligten ehren.Peter von Becker,

Marion Gräfin Dönhoff, Günter Grass, Walter Jens, Jürgen Kocka, Gyorgy Konrád, Reinhard Koselleck, Wolf Lepenies, Christian Meier, Wolf Jobst Siedler, George Tabori, Siegfried Unseld u.a.