Süd-Koreas Gewerkschaften schlucken bittere Pille

■ Für die Zustimmung zu Massenentlassungen sollen die Gewerkschaften mehr Rechte erhalten

Berlin (taz) — Süd-Koreas Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften haben sich gestern darauf geeinigt, den Kündigungsschutz für Arbeitnehmer zu lockern. Die Aufhebung der bisher quasi lebenslangen Beschäftigungsgarantie in den südkoreanischen Großunternehmen gehörte zu den Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF), mit dem das in einer schweren Wirtschaftskrise steckende Süd-Korea im Dezember ein 57-Milliarden-US-Dollar- Programm vereinbart hatte.

Die nach einer Marathonsitzung in den frühen Morgenstunden erzielte Vereinbarung wird von den Beteiligten als „großer Kompromiß“ bezeichnet. Er sieht vor, daß Firmen künftig in „Notsituationen“, nach Fusionen oder der Übernahme durch Ausländer Arbeitskräfte entlassen können. Kündigungen müssen zwei Monate vorher bekanntgegeben und ihre Modalitäten mit den Gewerkschaften ausgehandelt werden. Bei späteren Neueinstellungen sollen Entlassene bevorzugt werden.

Im Gegenzug für ihre Zustimmung sollen Süd-Koreas zum Teil militante Gewerkschaften mehr politische Rechte bekommen. Eine 1989 gegründete Lehrergewerkschaft soll legalisiert werden. Für inhaftierte Gewerkschafter ist eine Amnestie vorgesehen. Die Regierung sagte ferner zu, einen geplanten Fonds zur Unterstützung von Arbeitslosen auf 5 Billionen Won (5,5 Milliarden Mark) aufzustocken. Durch die Wirtschaftskrise und die Umstrukturierung der Konglomerate wird bis Jahresende der Verlust von einer Million Arbeitsplätzen erwartet.

Der nach dreiwöchigen zähen Verhandlungen gefundene Kompromiß muß jetzt noch vom Parlament verabschiedet werden. Der designierte Präsident Kim Dae Jung begrüßte die Vereinbarung und bezeichnete sie als „historisch“. Der Kompromiß gebe Hoffnung für die Reformfähigkeit Süd-Koreas. Das Abkommen dürfte die Position Kims und die Chancen stärken, daß er die zur Bewältigung der Krise für notwendig erachteten Reformen durchsetzen kann. Die Börse in Seoul regierte auf den Kompromiß mit Kurssteigerungen von 2,3 Prozent.

Der radikale Gewerkschaftsbund KCTU sagte nach der Einigung die für dieses Wochenende geplanten Warnstreiks ab. „Wir erwarten interne Widerstände, aber der Kompromiß war aus nationaler Sicht notwendig“, sagte der amtierende KCTU-Vorsitzende Bae Suk-bum. Erst vor 13 Monaten hatte KCTU mit dreiwöchigen Streiks eine Änderung des Arbeitsgesetzes zu Fall gebracht. Die Gewerkschaft argumentierte damals, Entlassungen könne allenfalls nach der Einrichtung einer Arbeitslosenversicherung zugestimmt werden. Sven Hansen