Fertigungsstraße im Kinderzimmer

Auf der Spielwarenmesse zeigt Lego stolz sein neuestes Spielzeug, in den bunten Plastiksteinen arbeiten jetzt Mikroprozessoren, programmierbar über den PC  ■ Aus Nürnberg Stefan Kuzmany

Der grüne Roboter ist ein schlechter Schüler. Seine beiden blauen Kollegen dagegen sind fleißig und brav: Ohne zu murren drehen sie sich im Kreis, wenn ihr Anführer es tut, fahren mal vor und mal zurück. Wird der Leitwolf entfernt, bleiben sie stehen – als ob ihre Batterie plötzlich den Geist aufgegeben hätte.

Alan Arnov, ein Mann in Jeans und mit weißer Löwenmähne, stellt den Anführer zurück zur Gefolgschaft – schon wird wieder getanzt. Nur der bockige Grüne will abermals nicht recht mitmachen. „Wir haben die blauen Roboter so programmiert, daß sie alles nachmachen, was der Anführer tut. Der grüne Roboter hat dagegen Ungehorsam ins Programm eingebaut bekommen: Per Zufallsgenerator führt er mal ein Kommando aus, dann wieder zwei nicht, dann vielleicht wieder die nächsten fünf.“

Arnov bezeichnet er die Tanzroboter als seine Babies, obwohl er nicht mehr dem Lego-Konzern angehört und nur für die Präsentation der neuesten Entwicklung „Mindstorms“ auf der noch bis zum 12. Februar stattfindenden Nürnberger Spielwarenmesse verpflichtet wurde. Jahrelang war er für die Entwicklung computerbezogener Lego-Systeme verantwortlich, und begeistert schildert er seine Erfahrungen mit englischen Schulkindern, die er für eine Pressevorführung im Umgang mit der Lego- Entwicklung unterrichtet hat: „Ich habe nur wenige Stunden mit den Kindern gearbeitet, da konnten die schon ihre ersten eigenen Modelle bauen und programmieren.“

Der „RCX“, das Herzstück von „Lego-Mindstorms“, erinnert kaum noch an das vertraute Teilchen mit den acht Noppen. Er ist wesentlich größer, ausgestattet mit Infrarotsender und Empfänger, hat eine digitale Anzeige und Ein- bzw. Ausgänge für Motoren, Taster, lichtempfindliche und andere Sensoren. Im Inneren befindet sich ein Mikrochip. Über eine Infrarotschnittstelle und mit sehr anschaulicher, einfacher Software kann er nach einem Baukastensystem programmiert werden: „Wenn es dunkel wird, fahre rückwärts“ – so wird das Modell beispielsweise davon abgehalten, in den unendlichen Weiten unter dem Schrank zu verschwinden.

„Letzte Bastion im Kinderzimmer fällt: Legosteine mit Computerchips“, übertitelten die Agenturen einen Bericht über die „weltweit bekannten Legosteine“, die „künftig auch mit Mikrochips zu haben“ seien – das ist wohl eine leichte Übertreibung. Technisch ist das eigentlich nichts Neues – neuartig ist nur die kinderleichte Bedienung des Geräts, geeignet schon für Zehnjährige.

Aber eine Revolution im Kinderzimmer? Die Bastion ist bereits gefallen: zwingende Voraussetzung für das Roboterspiel ist ein moderner PC mit einer Menge Speicher, einer Soundkarte und einem CD-ROM-Laufwerk – der sollte im Kinderzimmer schon auf dem Schreibtisch stehen.

Stolz ist man bei Lego vor allem auf die Entwicklungszusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Der dort ansässige Professor Seymor Papert sieht gar eine neue Ära des Lernens anbrechen: „Durch die Koppelung der digitalen mit der physischen Welt haben Forscher eine neue Generation von Spielzeugen geschaffen, mit denen Kinder Dinge erforschen und begreifen können, die bisher für diese Altersgruppe zu schwierig erschienen.“ Für knapp 500 Mark können die Kleinen auch in Deutschland ab 1999 im Kinderzimmer Marsmissionen durchführen, Fertigungsstraßen bauen und Industrieroboter konzipieren: „Die Kinder lernen in ganz frühem Alter bereits Projekt-Management“. Das wird ihnen beim Kampf um einen Arbeitsplatz sicher nützlich sein.

Der Entwicklungspsychologe Professor Siegfried Hoppe-Graff von der Universität Leipzig ist da skeptisch: Zwar bereichern auch seiner Meinung nach elektronische Spielzeuge die kindliche Entwicklung – allerdings nur in Maßen genossen: „Im Extremfall liegt darin auch ein Risiko. Wenn ein Kind etwas schüchtern ist und der Realität aus dem Weg gehen will, bietet der Computer eine zu einfache Ausweichmöglichkeit.“ Hier seien Eltern gefordert, Spielangebote zu machen.

Auch eine ältere Dame auf der Spielzeugmesse ist nicht überzeugt: „Ich war als Kind ganz einfach glücklich zu machen. Ein paar Kastanien, Blätter – und natürlich meine Puppe, mehr habe ich nicht gebraucht.“ Dann redet sie davon, wieviel Spielzeug sich in den Kinderzimmern ihrer Enkel stapelt, und wie wenig die damit noch anzufangen wissen. Das typische „Früher war alles besser“-Lamento. Aber vielleicht hat die Dame diesmal ja recht.