Raucher brauchen kein Nikotinpflaster

Das Nichtraucherschutzgesetz wurde mit 336 Nein- zu 256 Jastimmen im Bundestag abgelehnt. Die Befürworter des Gesetzes hoffen auf eine rot-grüne Regierung und eine neue Abstimmung im nächsten Jahr  ■ Aus Bonn Thorsten Denkler

Die Kameramänner machten Donnerstag abend mit ihren rauchenden Kollegen noch Witze: „Morgen müßt ihr wohl mit Nikotinpflaster kommen.“ Das können sie sich nun für Silvester aufheben. Der Bundestag lehnte das Nichtraucherschutzgesetz genauso fraktionsübergreifend ab, wie die Gesetzesvorlage entstanden war. Die Tabakindustrie freut sich, und der Nichtraucher muß im Zweifelsfall, will er sich nicht unnötig vergiften, nach wie vor den Raum verlassen.

Sozialdemokrat Peter Struck, Raucher aus Leidenschaft, machte schon vor der Debatte keinen Hehl daraus, was er im Falle eines Falles getan hätte. Mit süffisantem Unterton bemerkte er: „Mit dem Gesetz könnte ich leben.“ Heißt soviel wie: Ist mir egal, ich lass' mir meine Pfeife micht verbieten.

Gelassen nahm es auch Parteikollegin Ingrid Matthäus-Maier: „Dann kommt das Nichtraucherschutzgesetz eben beim nächsten Mal.“ Sie kaschierte damit allerdings ihre Enttäuschung über die gescheiterte Gesetzesinitiative. In der Debatte hatte sie Gesundheitsminister Horst Seehofer noch aufgebracht als „Oberlobbyisten der Tabakindustrie“ verdächtigt, weil er sich als Gesundheitspolitiker nicht hinter den Entwurf stelle. Mit mehreren Milliarden Mark hätte das Gesetz die Wirtschaft belastet, glaubt zumindest die Zigarettenindustrie. Sie hat im Vorfeld der Entscheidung versucht, auf mehr als die Hälfte der Abgeordneten einzuwirken.

Beide Seiten hatten sich in einer emotional geführten Debatte leidenschaftlich für ihre Positionen eingesetzt. Der Fraktionszwang war aufgehoben, es galt Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Gegner des Gesetzes warfen den Initiatoren Regelungswut vor. Die wiederum wollten vor allem Nichtraucher da schützen, wo sie sich dem Zigarettenqualm nicht entziehen können: in öffentlichen Räumen und Büros. Die Bündnisgrünen hatten zwar geplant, auch Restaurants in das Gesetz einzubinden, ihre Vorschläge fanden aber wenig Gehör. Darum stellte Gerald Häfner von Bündnis 90/Die Grünen von vornherein klar: „Wenn unser Entwurf scheitert, werden wir uns geschlossen der interfraktionellen Vorlage anschließen.“

„Niemand will Raucher diskriminieren oder gar stigmatisieren“, verteidigte die SPD-Abgeordnete Ute Tietze-Stecher den überfraktionellen Entwurf. Beim Nichtraucherschutz könne man sich nicht allein auf die Rüchsichtnahmen und Toleranz der Raucher verlassen. Burkhard Hirsch von der FDP pflichtete ihr bei: „Wir könnten auch die Zehn Gebote abschaffen, wenn sich alle daran halten würden – aber die Menschen tun es nicht.“ Eine gesetzliche Regelung sei deshalb notwendig.

Der drogenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Roland Sauer, verwies auf die 400 Menschen, die Jahr für Jahr an den Folgen des Passivrauchens sterben. Vor allem Kinder und Jugendliche seien davor zu schützen. Hier müsse der Gesetzgeber helfen. Einen „Krieg zwischen Rauchern und Nichtrauchern“ werde es jedoch nicht geben.

Franz Peter van Basten (CDU) sah schon unter dem Diktat des Gesetzes seine Freiheit als Abgeordneter bedroht. Er wolle sich in seinem Büro auf keinen Fall einem Rauchverbot unterwerfen, wie es die Vorlage fordere. Tietze-Stecher hielt prompt dagegen. Van Basten habe den Entwurf wohl nicht so genau gelesen: „Wenn ich will, kann ich in meinem Büro die Zigaretten sogar fressen.“

Jürgen Möllemann hielt es schlichtweg für eine „Sauererei“, mit dem Schutz von Kindern zu argumentieren, wenn nur Arbeitsstätten von den Regelungen betroffen seien. Er halte das Gesetz für unnötig und nicht kontrollierbar. Mit hochrotem Kopf warnte er davor, heute das Rauchen zu sanktionieren und morgen den Alkohol. Da applaudierte sogar der Kanzler dem sonst so unangenehmen FDP-Politiker.

Die Abstimmung war eine klare Sache: Der überfraktionelle Gesetzentwurf von Abgeordneten aus SPD, CDU und FDP wurde mit 336 Nein- zu 256 Jastimmen zurück in die Schublade geschickt. Und erwartungsgemäß keine Chance hatte der Entwurf der Grünen mit 506 Nein- zu 79 Jastimmen. Nun konzentriert sich alles auf die kommende Legislaturperiode. Gerald Häfner glaubt, schon bald nach den Wahlen mit neuen Mehrheiten einen gemeinsamen rot-grünen Regierungsentwurf präsentieren zu können: „Wir müssen ihn nur wieder aus der Schublade herausholen.“ Kommentar Seite 12