Service ist Nonplusultra

■ Marketing statt Schrauben beim Bremer Fahrrad-Fachkongreß

er die technische Innovation sucht, heißt es, der gehe zum Militär. Denkste! Auf dem Fahrradmarkt zumindest regen eher Folgeprobleme eines Militäreinsatzes den Erfindergeist an. Heiß, was die Bochumer Firma „Hase, Spezialräder“auf dem „2. Fahrrad-Fachkongreß für Handel und Industrie“am Wochenende im Bremer Congress Centrum so an Neuheiten für behinderte RadfahrerInnen zeigte.

Speerspitze der Innovation – auch im visuellen Sinne – ist das kombinierte Liege-Sitz-Tandem. Blickfang beim sportlichen „Pino“der phallische Rahmen, an dessen Horizontale vom Sattel bis zum Lämpchen das ganze Fahrrad aufgehängt ist. Unbehindert guckt da, wer hinten tritt, über den vorn im Liegesitz strampelnden Partner weg. Aber keine falschen Erwartungen, warnt der Techniker der Firma Hase: „Blind, behindert, kann nix: ab in die Rikscha!? Genau das haben wir mit unserem Tandem nicht gemeint“, werbetextet er aus dem Stegreif: „Auch Sie können sich da vorne reinlegen. Lenken können sowieso beide.“Treten auch – notfalls einbeinig. Rheuma, halbseitige Lähmung, Contergan – alles kein Grund, aufs Fahrradfahren zu verzichten. Dafür gibt es Speziallenker und Federn, die die zweite Pedale ersetzen. Auf einen Anschaffungspreis von 5.000 Mark komme man schon; aber die Krankenkassen zahlten dazu.

Nebenan der große Stand der behäbigen Elektroräder des Vereins extra energy. Mit ihren knapp 30 Kilo sind sie schwerer als die ollen Hollandräder. In Japan sind die Treter trotzdem ein Markt-renner. Der Clou heißt „power assist“– der Elektromotor funktioniert nur als Unterstützung der Beinmuskulatur. „Viele drehen sich um und sagen: Fahrradfahren mit Motor ist doof“, lächelt ziemlich frohgemut Mitarbeiterin Kerstin Bünte, „aber manche Frauen haben nun mal nicht soviel Energie.“Vorbei also die Zeit, daß Papa verbissen vorneweg rast und Mama hinterher keucht: „Das macht einfach Spaß mit 35 Km/h im Fahrtwind. Das würd' ich doch höchstens nach einem Jahr Krafttraining schaffen.“

Ziemlich standardmäßig kommt im Vergleich „Das Rad“daher. Genauer: „Das Rad '98“, die „Quintessenz“aus zehn Jahren Bremer Fahrradmanufaktur. Tiefblau schön und ohne jeden Heckmeck. Aber mit Nabendynamo und Hydraulikbremsen, mit Ledersattel und lauter Qualitätsmerkmalen beim unsichtbaren Faktor „Zeit“: Steifigkeit des Rahmens, Haltbarkeit von Innenlagern, Zahnkranz, Kette. 12.000 Räder wollen die 30 Fahrradmanufakteure in dieser Saison verkaufen. Fünf Prozent gehen davon im Schnitt in Bremen weg. Aber der Neuräder-Markt ist eng. Innerhalb der letzten vier Jahre ist die Zahl der verkauften Neuräder von 6,5 auf 4 Millionen abgesackt. Das Geschäft machen andere: Die Baumärkte, Tchibo, die Radreiseveranstalter sorgen dafür, daß der deutsche Privathaushalt heute zweimal soviel fürs Rad ausgibt als im Neurad-Boomjahr 1991.

Die Fach-Einzelhändler aber stehen im Regen. Nicht zuletzt, weil auch auf dem Fahrradmarkt inzwischen nichts mehr ist, wie es einmal war: Der Unterschied von Qualitäts- versus Billigrad ist heute so einfach nicht mehr zu machen. Auch der Multi Herkules steht auf der Bremer Fachmesse, die vom Verbund selbstverwalteter Fahrradbetriebe (VSF) organisiert wird. Ole Hoffmann vom Bremer VSF-Laden „Radhaus Findorff“: „Auch ordentliche Räder werden heute immer billiger. Wenn die Leute damit in unsere Werkstatt kommen, können wir nicht mal mehr sagen: An so einem Schweinkram schraube ich nicht. Das Herkules-Rad Yuma ist zur Zeit eines der tollsten Mountain-Bikes auf dem Markt.“

So lag denn das Hauptinteresse der 500 professionellen Kongreß-besucher auch weniger bei der Technik als beim Thema Marketing. Voller Saal zum Beispiel beim Vortrag von Rainer Burkard, Diplom-Betriebswirt, über den „Fahrradmarkt im Strukturwandel – Fachhandel wohin?“. Hin zur professionellen Dienstleistung natürlich, so die Antwort: „Verschmutzte Leute, Sachen, die nachmittags noch nicht eingeordnet sind: Das geht nicht mehr!“Kein gellender Pfiff auf schwieligen Schrauber-fingern ertönte da. Im Grunde geht man d'accord. Der „Radschlag“, die „Speiche“, Ole Hoffmanns „Radhaus Findorff“: Von Bremens vier VSF-Läden zogen in den letzten drei Jahren drei aus den dunklen Seitenstraßen an die hellen Boulevards. Corporate Identity kommt längst nicht mehr nur aus dem Bauch und natürlich hat ein Innenarchitekt beim Ausbau geholfen, sagt Hoffmann. Das Nonplusultra des Einzelhandels aber, so Betriebswirt Burkard, ist der Service: „Daß Sie die Rahmennummer automatisch bei der Polizei abgeben, daß Sie ein dreimonatiges Pflege-Abo in Ihrer Werkstatt anbieten! Gucken Sie sich doch die französische Sportkette Décathlon an: Die bieten ein Jahr Zufriedensheitsgarantie auf ihre Produkte.“Da gab's aus dem Zuhörerkreis denn doch ein paar erschrockene Lacher. ritz