Hoechst schafft Industriegeschäft ab

■ Bald rund 20.000 Stellen weniger. Konzentration auf „Life-Science“

Frankfurt am Main (taz/dpa) – Wer heute noch als Chemiewerker bei einer industriellen Tochtergesellschaft der Hoechst Holding AG arbeitet, hat schlechte Karten: Entweder wird er mit der kompletten Firma, etwa der Faserproduktion, an einen anderen Konzern verkauft. Oder aber er darf Anträge auf Entlassung in den Vorruhestand ausfüllen. Bis zum Jahr 2000 will der Konzern rund 20.000 Stellen abbauen; vornehmlich durch den Rückzug aus dem Industriegeschäft. Das sagte der Vorstandschef der Hoechst AG, Jürgen Dormann, am Wochenende in Gesprächen mit Focus und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Daß Dormann die Produktion für die Industrie weghauen und den Konzern zu einem lupenreinen „Life-Science“-Unternehmen umbauen will, ist kein Geheimnis. Die Holding Hoechst AG der nahen Zukunft wird unter ihrem Dach nur noch eigenständige Tochtergesellschaften aus dem Pharmabereich und der Biotechnologie – inklusive Gentechnologie – dulden. „Die wachsende Bedeutung der Biotechnologie verändert das Verhältnis zwischen den biochemischen Arbeitsgebieten und der klassischen Chemie“, hatte Dormann schon auf der Aktionärsversammlung 1997 erklärt.

Der Bereich Spezialchemikalen wurde bereits mehrheitlich an die Clariant AG in der Schweiz veräußert. Rund 20.000 MitarbeiterInnen von Hoechst waren plötzlich „Clarianter“. Verabschiedet hat sich Hoechst längst schon aus dem Druckplattengeschäft und der Herstellung von Industriekeramik und Kosmetik. Komplett verkauft wurden hundertprozentige Töchter wie die Riedel Haen AG und die BK Ladenburg GmbH. Und demnächst soll die erfolgreiche Tochter Messer Griesheim (Industriegase) abgestoßen werden. Dormann: „Das Massengeschäft geben wir ab.“

Bringt die Konzentration auf Pharma und Zukunftstechnologien wenigstens neue Arbeitsplätze? Mitnichten. Bei Hoechst Marion Rousell (HMR-Pharma) werden 600 Arbeitsplätze im Forschungsbereich abgebaut. Das soll – zur Freude der Aktionäre – mehr Umsatzwachstum und eine höhere Umsatzrendite bringen. Mehr Wachstum bringt also nicht mehr Arbeitsplätze, wie Dormann auch in der Sonntagszeitung konstatierte. Denn hinter dem Wachstum würden „ganz wesentliche Technologiesprünge“ stehen.

Fusionen von internationalem Maßstab, wie die letzte zwischen den britischen Pharmariesen Glaxo und Smithkline Beecham, seien dagegen aktuell kein Thema, sagte Dormann. Ob Hoechst aber auch noch in zehn Jahren unabhängig sein werde, hänge wesentlich von der schnellen Entwicklung bahnbrechender Medikamente durch die eigene, demnächst personalreduzierte Forschungsabteilung ab. Klaus-Peter Klingelschmitt