Dürreperiode in Wilhelmsburg

In den Gräben der Elbinsel herrscht Wassernot zum Schaden der Natur  ■ Von Achim Fischer

Für die Wilhelmsburger Tier- und Pflanzenwelt sind staubige Zeiten angebrochen. Feuchtwiesen fallen trocken, manche Seitenarme der Wettern – der Beetgräben also – führen kein Wasser mehr. Baumwurzeln, die früher ständig unter Wasser lagen, ragen in die Luft.

Die Ursache: Die Wettern, das Bewässerungssystem der Insel, werden nach Einschätzung von Naturschutzverbänden und der Umweltbehörde anders bewirtschaftet, als es sich jahrzehntelang für Mensch und Umwelt bewährt hat. Die Umweltbehörde drängt darauf, wieder die früheren, hohen Wasserstände einzuhalten – und macht sich damit bei Landwirten, Baubehörde und Bezirk unbeliebt. Naturschutzexperten vermuten hinter dem Konflikt ökonomisches Kalkül. Einige Landwirte könnten von der neuen Trockenzeit profitieren.

Das Wetternsystem dient der Be- und Entwässerung von Äckern und Weiden. In und um die Gräben herum haben sich seltene Tier- und Pflanzenarten angesiedelt, haben sich hochkomplexe Lebensgemeinschaften am Uferrand, auf Feuchtwiesen und Moorresten entwickelt. „Ein Teil dieser Arten steht bundesweit unter besonderem Schutz. Jede Beeinträchtigung ihrer Existenz ist verboten“, schreibt die Umweltbehörde ihren Amtskollegen ins Stammbuch. „Zur Sicherung ihres Überlebens ist eine Mindestwassertiefe von 40 Zentimetern dauerhaft erforderlich“– die aber, von allen Seiten bestätigt, nie und nimmer eingehalten wird.

„Das Problem der unzureichenden Wasserführung wurde in der Vergangenheit zwischen dem Bezirksamt, der Baubehörde und Umweltbehörde mehrfach diskutiert – wie sich jetzt zeigt, ohne nachhaltigen Erfolg“, rüffelten die Umweltbeamten ihre Verwaltungskollegen per internem Brief.

Mittlerweile ist der geharnischte Brief sieben Monate alt. An der Situation in Wilhelmsburg aber hat sich nichts geändert. Statt tiefem, klaren Wasser schwabbert nur ein kläglicher Rest trüber Brühe in vielen Gräben. Nach Ansicht des Bezirksamts ist aber nicht der Wasserpegel zu niedrig, sondern die Grabensohle zu hoch. „Die Gräben sind in den vergangenen Jahrzehnten viel zu wenig entschlammt worden“, erklärt Walter Rermann vom Bauamt Harburg. Werde der Schlamm ausgehoben, etwa um zwanzig Zentimeter, könne die geforderte Wassertiefe wiederhergestellt werden.

Der Wasserverband Wilhelmsburger Osten, der die Wettern unterhält, legt noch einen drauf: Um „fünfzig bis sechzig Zentimeter“sei die Sohle durch Ablagerungen erhöht, so Verbandsvorsteher Helmuth Poggensee. Die alte Wassertiefe herzustellen, „ist nur eine Kostenfrage“. Fünf bis sechs Millionen Mark würden die Baggerarbeiten kosten.

Naturschützer aber gehen davon aus, daß die Dauerebbe in den Wettern nicht allein auf Ablagerungen zurückzuführen ist. „Die Gräben werden nicht ausreichend geflutet“, vermutet Horst Bertram vom Botanischen Verein Hamburg und sieht einen Zusammenhang mit neuen Anbaumethoden einiger Landwirte.

Seit zwei, drei Jahren stellen einige Wilhemsburger Höfe von Grünlandnutzung auf intensiven Gemüseanbau um. Im Gegensatz zu den Weiden verträgt Gemüse aber keine nassen Böden. Deshalb, so der Vorwurf des Hamburger Umweltverbandes BUND, wurde der Wasserspiegel abgesenkt: Durch die Dauer-Ebbe fielen die Beetgräben trocken, die große Flächen bewässerten. Anschließend wurden sie zugeschüttet, unter manche Äcker sogar Drainagen verlegt – die in die Wettern münden und nur bei niedrigem Wasserspiegel funktionieren.

Durch Ausbaggern können zwar die alten Wassertiefen wieder hergestellt werden. Der Wasserspiegel bleibt dennoch deutlich unter dem früheren. Das gesamte Gelände inklusive Weiden, Feuchtwiesen und Moorresten fällt nach und nach trocken.

Umwelt- und Baubehörde sowie der Bezirk Harburg verweisen auf „laufende Gespräche“. Ein Be- und Entwässerungsplan solle bestimmte Wassertiefen sichern. Wie die Behörden diese Tiefen erreichen wollen, machen sie derzeit an den Goetjensorter Wettern vor. Bagger heben Kubikmeterweise Schlick aus. Wasserverband und Bezirk bezeichnen die Arbeiten als – nicht genehmigungspflichtige – „Unterhaltungsmaßnahmen“.

„Das ist keine Unterhaltung, das ist ein Ausbau“, schimpft Harald Köpke vom BUND. Als Ausbau müßten die Baggerarbeiten unter Beteiligung der Naturschutzverbände genehmigt werden, die Bauherren müßten unter Umständen einen Ausgleich für die Eingriffe in die Natur schaffen. Auch das Absenken des Wasserspiegels ist nach Ansicht des Hamburger BUND-Geschäftsführers Manfred Braasch ein „massiver Eingriff“in die Natur und müßte genehmigt werden. Noch einmal hinnehmen möchten die Umweltschützer solche Projekte nicht. Ändert sich nichts an der Dauerebbe in Wilhelmsburgs Gräben, behält sich Braasch vor, „ganz genau juristische Schritte zu prüfen“.