Amélia und die Fassungsfrage

■ Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“fulminant im Bremer Theater am Goetheplatz

Es geht also auch anders. Kein Mißbrauch, nirgends, keine Abkanzelung der Musik zur kulinarischen Untermalung einer Inszenierungsidee: Unter der Leitung des ersten Kapellmeisters Massimo Zanetti blühte mit „Un ballo in maschera“jetzt eine der besten Opern Verdis bei der Premiere am Goetheplatz als genuin dramatische Musik, wenn nicht gar als das Drama selbst. Zanetti vermied falsche Breitwandeffekte, gestaltete die Musik vollkommen aus den szenischen Affekten, aus abrupten Akzenten und vorwärtstreibenden Impulsen. Er sicherte mit dem gut folgenden Staatsorchester hervorragend die kammermusikalische Durchsicht, entwickelte deutliche Begleitfiguren aus kleinsten Zellen heraus: kein Klangrausch, sondern Klangrede subtilster Art.

Die Qualität dieser nur selten von kleinen Wacklern getrübten Wiedergabe konnte so deutlich werden. Was wie eine Binsenweisheit klingen mag – denn was ist eine Oper anderes als die Interaktion von Handlung, Gesang und Orchester –, erhält seine Triftigkeit durch die Arbeit des Regisseurs Denis Krief. Denn Krief entwickelt umgekehrt seine Bilder in einer fast tänzerischen, choreographischen Weise aus der Musik heraus und läßt sie wieder zurückfließen. Am deutlichsten wird dies in der geheimnisvollen Figur des Pagen Oscar, einer bei Krief androgynen Figur, die mit tänzerischem Elan die Scharnierfigur für die schlechten und die guten Nachrichten bildet.

Den in Ferrara lebenden Regisseur interessiert bei seiner zweiten Inszenierung in Deutschland nicht die Fassungsfrage: Die Verlegung der Handlung aus Europa hinüber ins US-amerikanische Boston war von den italienischen Zensoren gefordert worden, weil sie einen Königsmord auf offener Bühne nicht zulassen konnten. Krief interessiert sich auch nicht für die Masken im „Maskenball“: Der läuft bei Krief ohne Masken ab. Krief erzählt die Geschichte in einer klaren, das neunzehnte Jahrhundert charakterisierenden Struktur: Kirche, Militär, Bürgertum. Dieser sauber entwickelte Ansatz kulminiert in dieser Inszenierung in der großen Szene Amélias und Riccardos, wenn sie sich um Mitternacht im Wald treffen: Den Ort hatte die unglückliche Amélia auf Anraten der Wahrsagerin Ulrica aufgesucht, um sich ihrer Liebesgefühle zum Vorgesetzten ihres Mannes zu entledigen. Was bei Verdi Wald ist, ist bei Krief ein Doppelbett, als weitere Requisiten ein Kreuz. Ein Bild als Metapher für die Sehnsucht Amélias, ein Bild für die Unlösbarkeit ihres Konfliktes, ein Bild für das Korsett, in dem sie steckt.

Auch an anderen Stellen lenkt Krief das Geschehen in eine klare, gelegentlich etwas designhafte Symbolik seines Bühnenbildes und seiner Kostüme: Riccardo, einsam an einem Schreibtisch, Renato und Amélia in ihrem mit Ledersesseln und Teddybär ausgestatteten bürgerlichen Wohnzimmer. Farben sind kräftig im Kontrast zu einem blendenden Weiß eingesetzt: So das tief leuchtende Rot der puppenhaften Chordamen, das tiefe Grün der Ulrica oder das Marineblau von Riccardo und Renato.

Die Personen sind besonders in ihrer Körperhaltung präzis gezeichnet, und was vielleicht manchmal zurückhaltend, zu ge-stylt aussehen könnte, ist auf die Empfindlichkeit zurückzuführen, mit der Krief der Musik ihren Raum lassen will: Langsam und eher verklemmt Amélia, liebenswert und etwas tölpelhaft Riccardo, schnell und frech Oscar, und im Rollstuhl als Leiterin eines Amüsierbetriebes Ulrica, nicht Wahrsagerin und Hexe, sondern Ausgegrenzte. Die SängerInnenleistungen konnten sich mehr als hören lassen und wurden ebenso umjubelt wie Zanetti und Krief. Rachel Torvey hat eine große, differenzierungsfähige Stimme. Bruce Rankin als Riccardo, seine letzte Rolle in Bremen: In seiner singschauspielerischen Qualität ein Ausnahmetenor. Auch Ron Peo wird aus Bremen weggehen: Sein Renato wuchs in eine ergreifende Darstellung. Blitzsauber die Koloraturen der Caroline Stein als Oscar und von fatalistischer Suggestivkraft der Alt Malgorzata Walewskas als Ulrica. Ute Schalz-Laurenze

Aufführungen 12., 15. und 20. Februar um 19.30 Uhr