Nachgefragt
: „Scherf eingebrochen“

■ Le Monde-Deutschland-Korrespondent über Föderalismus und Lauschangriff

Wochenlang hat Bürgermeister Henning Scherf (SPD) um Bremens Abtimmungsverhalten im Bundesrat zum großen Lauschangriff gepokert. Wochenlang stand der Bremer Regierungs-Chef im Rampenlicht der Bonner Polit-Bühne, um Nachbesserungen für Ärzte, Journalisten und Rechtsanwälte zu fordern. Wie diese Rolle Scherfs auf dem glatten bundespolitischen Parkett von außenstehenden Beobachtern wahrgenommen wurde, darüber sprach die taz mit dem Deutschland-Korrespondenten der französischen Tageszeitung Le Monde , Arnaud Leparmentier.

taz: Herr Leparmentier, wie beurteilen Sie Scherfs Rolle im Streit um den Lauschangriff?

Arnaud Leparmentier, Deutschland-Korrespondent Le Monde: Mir scheint, daß Scherf seine Meinung nicht durchgesetzt hat, weil er unbedingt seine Koalition in Bremen mit der CDU retten wollte. Bei mir ist immer angekommen, daß Scherf dem großen Lauschangriff und der Grundgesetzänderung auf gar keinen Fall zustimmen wollte. Und der Vermittlungsausschuß hilft Scherf gar nichts. Der kann von der Bonner Koalition allein überstimmt werden. Meiner Meinung nach ist Scherf eingebrochen.

Scherfs Einfluß lag an der Konstellation im Bundesrat und am föderalen System der BRD. Finden Sie das gut?

Im Prinzip finde ich das förderalistische Prinzip gut. Aber in der aktuellen politischen Debatte um den Lauschangriff hätte man sich nicht über Bremer ,Landespolitik' sondern über die Sache an sich unterhalten müssen. Scherf hat sich jetzt für einen Kompromiß zwischen seiner Überzeugung und seiner Koalition entschieden. Mit förderalen Prinzipien Politik zu machen dürfte jedoch nicht passieren. Aber Deutschland ist bekannt für Kompromisse.

Hat Scherf dem Bundesland Bremen mit seinem Auftritt eher geschadet oder geholfen?

Er hat geholfen. Scherf hat es geschafft, die Dikussion über die Grundgesetzänderung noch einmal anzufangen. Und letztendlich bleibt haften, daß Bremen es immerhin geschafft hat, den Vermittlungsausschuß anzurufen. Das ist gut und zeigt, daß auch kleine Länder mitreden können.

Bremen ist auf Mittel aus Bund und Ländern angewiesen. Hat Scherf für die anstehenden Verhandlungen Schaden angerichtet?

Ich glaube, da Bremen der Grundgesetzänderung zugestimmt hat, werden die CDU-geführten Länder in der Finanzdebatte ebenfalls zu einem Kompromiß bereit sein. Das könnte man vielleicht als Gesamtpaket verstehen – Grundgesetz gegen Geld. Aber das will ich keinem so direkt unterstellen.

Kann Scherf Nachbesserungen noch durchsetzen?

Mir scheint, daß nicht alle FDP-Mitglieder im Bundestag dagegen stimmen werden. Darüber besteht eine kleine Chance. Eigentlich hätte Scherf seine Garantie im Bundesrat aber nicht aus der Hand geben dürfen. Aber wie gesagt, in Deutschland werden Kompromisse gemacht, um wieder andere Kompromisse zu erzielen. In Frankreich hält sich ein Minister zu einem Thema entweder zurück, oder er legt sein Amt nieder, wenn er sich nicht durchsetzen kann. Aber zuzustimmen und zu sagen, das ist nicht meine Meinung, ist in Frankreich unüblich.

Fragen: Jens Tittmann