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: Der Jahrtausendgummibaum

„Die Jahrtausendwahl – Oskar Lafontaine im Gespräch“, So., 23 Uhr, Pro7

Ach, wie gerne hätten wir unser Handwerk bei Ikea gelernt. Nicht in der Schreinerei natürlich, sondern in der Schreibwerkstatt – dort, wo Kiefernregale rhetorisch aufpoliert und Couchgarnituren poetisch nachbehandelt werden, dort also, wo der Möbelkatalog gedichtet wird. Wie ungleich besser wären wir auf die neue Interview-Reihe „Die Jahrtausendwahl“ vorbereitet gewesen, mit der Pro7 Sonntag nacht ins Wahlkampfjahr startete.

Liebevoll würden wir jetzt den Star des Abends würdigen können, diese ganz sagenhafte Badezimmersichtschutzwand aus hellem Holz, die hinter den Interviewern Wolfgang Klein und Peter Limbourg in die Höhe ragte und beide an Bildschirmpräsenz wie Profil locker überstrahlte. Statt mit feiner Feder die Lamellen nachzufahren oder keß den Gebrauch von ein wenig Schmirgelpapier zu empfehlen, statt also über den Star im Studio müssen wir über Oskar Lafontaine schreiben, den Gast im Studio.

Gewiß, es gibt Ähnlichkeiten: Spätestens seit der SPD-Entscheidung zum Lauschangriff lastet auf Parteichef Lafontaine der Verdacht, ein Umfaller zu sein, und auch die Badezimmersichtschutzwand steht schon ganz schief. Ansonsten ist es eine dieser Sendungen, in denen Leute „die Bevölkerung“ heißen und in Sätzen auftauchen wie „Die Bevölkerung kann ich gut verstehen.“ Am vergnüglichsten war noch der Tonfall des „Napoleons von der Saar“ (Trailer): Glaubt ihr eigentlich wirklich, daß ich euch auch nur ein Sterbenswörtchen erzähle, das ich nicht zuvor schon auf dem Marktplatz von Wiebelskirchen zum besten gegeben habe?

Gestört hat's die Interviewer nicht. Vom Bewußtsein der eigenen Wichtigkeit durchdrungen, spulen sie ihre Themen ab, Rot- Grün und Euro, Ausbildungsabgabe und Rentenreform und die Frage, welche Eigenschaften der Mann besitzen muß, „der uns erfolgreich ins dritte Jahrtausend führt“. Die Antwort kann hier leider nicht überliefert werden, weil just in dieser Szene ein herzallerliebster Gummibaum ins Bild ragte und uns ablenkte. Zwischendurch wirbt Schauma für „das Shampoo mit dem Aufbau- Vitamin“, und nach diesem Abend ist man versucht, einen kräftigen Schluck zu nehmen.

„Die Jahrtausendwahl“ – das Kurzurteil: eine Werbesendung zur Förderung der Politikverdrossenheit. Patrik Schwarz