Deutschland, einig Fahrradland

Fahrrad-Fachkongreß in Bremen setzt auf Innovationen und aufs Zweit- und Drittrad für jede Gelegenheit. Das Gerät der Zukunft soll technischer und teurer werden  ■ Von Helmut Dachale

Bremen (taz) – In Bonn fast unter die Räder gekommen, war Henning Scherf am Wochenende schon wieder obenauf. Der 2. Fahrrad-Fachkongreß tagte im noblen Bremer Congress Centrum, und der Bürgermeister der Hansestadt war als Schirmherr geladen. Einen Besseren hätten die Organisatoren nicht finden können, schließlich fährt er täglich mit dem Radl zur Arbeit. Also stieg er von seinem hochradähnlichen Velo und erzählte 400 Fahrradherstellern und -händlern, was sie hören wollten. Ihre Branche sei drauf und dran, eine „Erfolgsbranche“ zu werden, und irgendwann herrschten auch in Deutschland Verhältnisse „wie beim Nachbarvolk Holland, wo bis zu 40 Prozent aller Wege auf dem Fahrrad zurückgelegt werden“.

Derartiger Optimismus kam an. Hierzulande liegt der Fahrradanteil lediglich bei knapp 10 Prozent, der Inlandsabsatz stagniert seit Jahren und lag 1997 etwa bei 4,6 Millionen Stück. Anfang der Neunziger wurden jährlich noch über sechs Millionen Drahtesel verkauft. Auch der vielbeschworene Jan-Ullrich-Effekt kam bisher allenfalls der Telekom zugute. Doch auf dem Bremer Meeting, zum zweitenmal veranstaltet vom VSF (Verbund selbstverwalteter Fahrradbetriebe), war Jammern verpönt. Unter dem Motto „Markt und Zukunft: gestalten, bestimmen, gewinnen“ sprach man lieber von „Auf- und Umbruch“ und „ungenutzten Potentialen“. Das Fahrradfachgeschäft der Zukunft müsse Mobilitätszentrale sein.

Doch Marketingstratege Mario Nantscheff reicht das noch nicht. Er forderte eine „Bundesrepublik Bikeland“, verwirklicht bis zum Jahre 2007, in der es dann normal sei, daß „Räder mit hohem Gebrauchs- und Gefühlsnutzen wie Autos angemessen bezahlt, gewartet und geschützt abgestellt werden“. Albert Herresthal, Ökologie-Beauftragter des VSF, sieht ebenfalls eine Aufbruchstimmung: „Krise, gibt's die wirklich? Es gibt deutlich verringerte Umsätze, aber vor allem in dem Segment, das sich modisch und sportlich orientiert. Neu und wichtiger ist, daß auch die Branchenverbände jetzt endlich das Fahrrad nicht mehr primär als Sportgerät sehen, sondern als Verkehrsmittel fördern. Wir müssen jetzt erreichen, daß Fahrräder weitgehend wartungsfrei und komfortabler werden.“

In puncto Komfort scheinen für viele Hersteller Federelemente unabdingbar. Seit Jahren am Mountainbike (MTB) bereits gang und gäbe, waren in Bremen auch etliche Alltagsmodelle mit Federgabeln und Zugfedern, Hartgummipuffern oder Öldruckdämpfern zu besichtigen. Derartige Fullys kosten 2.000 DM und mehr und eliminieren dafür einen Großeil der Schwingungen, die durchs harte Großstadtpflaster hervorgerufen werden. Die neuen Elektrofahrräder wiegen 25 und 30 Kilo und haben einen Elektromotor mit Sensoren. Ist der eingeschaltet, wird permanent 50 Prozent der benötigten Antriebsenergie eingespeist. Damit das E-Bike noch als Fahrrad durchgeht, darf es nicht schneller als Tempo 25 fahren – eine Geschwindigkeit, über die die Besitzer der in Kürze auf den Markt kommenden 14-Gang- Nabenschaltung „Speedhub“ womöglich lachen werden. Vorläufig ist sie nur gedacht für MTBs, bei Bewährung will sie Bernhard Rohloff – bisher bekannt als Produzent von Fahrradketten – umbauen für die Hinterräder von normalen Velos. Sie hätte die Leistungsfähigkeit einer 24gängigen Kettenschaltung, sei aber erheblich wartungsärmer und soll unter zwei Kilo wiegen. „Wenn der Körper schon schwer ist, soll wenigstens das Rad leicht sein“, so Rohloff. Doch das kostet: Wer 14 Gänge mit bequemem Handgriff schalten will, wird wohl 800 DM hinblättern müssen – allein fürs Getriebe.

Die Technisierung des Fahrrades führt zu „hochpreisigen Produkten“. Ein anderer Trend, den die Hersteller forcieren möchten, geht hin zum Zweit- und Drittrad. Zum Einkaufen nutzt man das City-Bike, für die Reise den Tourer, für die Fitneß die Cross- oder Rennmaschine. Henning Scherf hat's kapiert. Seit Jahren schon besitzt er neben seinem Alltagsrad – schwarz und schwer – noch ein filigranes Rennrad. Und manchmal benutze er es auch: „Wenn ich Zeit habe und die Straßen trocken sind.“