„Die Positionen der SPD gut rüberbringen“

■ Die Finanzexpertin der SPD, Ingrid Matthäus-Maier, plädiert für einen Spitzenkandidaten, der die Inhalte der Partei am besten vertreten kann

taz: In der Riege der Bonner SPD-Finanzexperten ist Ingrid Matthäus-Maier die unbestrittene Nummer eins, schrieb kürzlich das „Handelsblatt“. Trotzdem erwecken Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck einer Politikerin, die konsequent in der zweiten Reihe steht. Warum?

Ingrid Matthäus-Maier: Mit geht es um die Sache und nicht um persönliche Karriere. Wenn ich eine Chance habe, mich mit inhaltlichen Vorschlägen, wie zum Beispiel beim Kindergeld durchzusetzen, dann ist das viel wichtiger als die Frage der ersten oder zweiten Reihe. An unserer Programmatik zur Steuerpolitik habe ich maßgeblich mitgearbeitet. Das ist für mich das Wichtigste.

Das reicht Ihnen?

Das reicht mir.

Sie haben der taz kürzlich nach einer Bundestagsdebatte ein Interview verweigert, weil Sie dem Plenarredner Ihrer Fraktion, wie Sie es ausdrückten, „nicht die Zeilen wegnehmen“ wollten. Meinen Sie, Ihr Kollege hätte an Ihrer Stelle ebenso reagiert?

Das weiß ich nicht. Es mag sein, daß Frauen bei so etwas großzügiger sind. In Untersuchungen, warum Frauen und Männer Politik machen, ist herausgekommen, daß Frauen eher bereit sind, um der Sache willen auf Selbstdarstellung zu verzichten.

Das Bemühen, innerhalb des eigenen Umfelds nur ja keinen Konflikt entstehen zu lassen und für Solidarität und Integration zuständig zu sein, entspricht der klassischen weiblichen Rolle. Halten Sie es für möglich, daß es Frauen deshalb nicht bis zur Parteivorsitzenden oder Bundeskanzlerin bringen?

Ich halte das nur für eine Frage der Zeit. Wenn ich mir anschaue, wie viele Frauen weltweit auf führenden Positionen sitzen, dann ist das ein enormer Fortschritt. Es ist aber leider richtig, daß man Mädchen und jungen Frauen eher beibringt, daß sie immer noch mit Anpassung weiterkommen.

Halten Sie die Diskussion um die beiden Kampfhähne, des Parteichefs Oskar Lafontaine und des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, in der Frage der Kanzlerkandidatur als schädlich für Ihre Partei?

Die Position, daß wir erst im März entscheiden, ist völlig richtig. Es ist doch klar, daß wir diese Personalfrage nicht vor einer Landtagswahl entscheiden können, von der wir nicht wissen, wie sie ausgeht. Nur ist mittlerweile so ein Medienrummel entstanden, daß die Frage, wie sich die beiden zueinander verhalten und wer was über wen sagt, zu einer hysterischen Diskussion geworden ist. An dieser Diskussion ist aber nicht die SPD schuld.

Meinen Sie das ernst?

Wir sind nie an irgend etwas schuld. (lacht)

Sie sind Mitglied des SPD-Vorstands. Hat bei der endgültigen Entscheidung in der Kandidatenfrage der Vorstand noch irgend etwas mitzureden, oder tragen die beiden das allein aus?

Selbstverständlich hat der Vorstand mitzureden. Wenn die beiden das aber untereinander abmachen, dann sind die Würfel gefallen.

Besteht nicht die Gefahr, daß der Vorstand durch dieses Elefantenduell an Bedeutung verliert, von der Basis ganz zu schweigen?

Das ist sicher ein Problem, z.B. wenn Schröder die selbstgesteckte Marke nicht erreicht. Aber da es zeitlich begrenzt ist, werden wir das auch durchstehen. Ich bin der festen Überzeugung, daß nach dem 16. März die Inhalte wieder stark im Vordergrund stehen.

Kommt es bei der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur nicht darauf an, daß der Kandidat die Inhalte der SPD so gut wie kein anderer vertritt?

Selbstverständlich.

Gerhard Schröder hält wenig von der Harmonisierung von Steuern und Abgaben, ist für Lohnverzicht, gegen die Ausbildungsplatzabgabe, gegen die Ökosteuer...

...für den Eurofighter...

...vertritt also in vielen Punkten eine andere Linie als die SPD.

Wir brauchen einen Kanzlerkandidaten, der die Positionen der SPD gut rüberbringt. Und die Positionen der SPD sind: gegen Eurofighter, für ökologische Steuerreform und für den Euro – und das ist gut so.

Bis 1982 haben Sie der FDP angehört. Hat sich die Partei überlebt?

Die FDP, so wie sie jetzt existiert, hat sich meiner Ansicht nach überlebt, ja. Das macht der Wirtschaftsflügel der CDU besser.

Inwiefern?

Das Konzept der FDP kann nur klappen, weil in der CDU nicht nur die christliche Arbeitnehmerschaft (CDA) existiert, sondern auf der anderen Seite die Mittelstandsvereinigung. Letztere ist in der Sache immer erfolgreicher als die CDA. Häufig hatte die CDA eine Position, die mehrheitsfähig war, die aber nicht zustande kam, weil sie im Bundestag gegen ihre Überzeugung gestimmt hat.

Hat überhaupt eine liberale Partei eine Daseinsberechtigung?

Ich kann nur sagen, in meiner Partei gibt es mehr Liberale, als die FDP je hatte. Diese FDP ist nicht nur überflüssig, sondern im Gegenteil sogar schädlich. Immer wieder hindern sechs Prozent des Bundestages die anderen 94 Prozent an vernünftigen Entscheidungen. Was allerdings auch nur deswegen klappt, weil sich in der CDU starke Kräfte im Zweifel hinter der FDP verstecken.

In diesem Jahr steht als neues Thema die Belohnung für Informanten der Steuerhinterziehung auf der Tagesordnung. Sie haben das Thema forciert, indem sie vehement für Belohnungen eintreten. Fördert das nicht Denunziantentum?

Wir wissen seit Jahrzehnten, daß wir die Aufklärung von Straftaten nur hinbekommen, wenn wir Menschen dafür belohnen, daß sie uns Hinweise geben. Beim Zoll beispielsweise wird das Mittel der Belohnung heute öfter angewandt als je zuvor. Gegen gewerbsmäßigen Schmuggel kann man gar nicht anders vorgehen. Es gibt eine Richtlinie über Prämien mit genau festgelegten Tarifen. Die Behörden haben im Tresor Geld dafür liegen.

Artet das nicht in einen Eingriff in die Privatspähre aus?

Verlassene Ehefrauen, die sich rächen wollen, interessieren uns nicht. Wenn aber drei Vorstandsmitglieder der Dresdner Bank, wenn Menschen, die formal zur Elite des Landes gezählt werden, innerhalb von fünf Monaten Selbstanzeige machen müssen, dann sieht man, in welche Etagen schwere Steuerhinterziehung hineingekrochen ist. Dieser Raffkementalität, die bei so manchen Spitzenverdienern vorherrscht, muß Einhalt geboten werden.

Ist das Thema Belohnung für Informaten nicht nur ein Stellvertreterthema für die mißglückte Steuerreform?

Nein, wer keine 53 Prozent Steuersatz zahlen will, zahlt auch keine 45. Daß wir so eine schlechte Steuermoral haben, liegt daran, daß wir sowenig gegen Steuerhinterziehung getan haben. Diese Bundesregierung hat unseren Vorschlag auf Stichproben bei Zinsbesteuerung bis heute mit dem falschen Hinweis abgelehnt, das Bankgeheimnis würde zerstört. Bei dem gutbürgerlichen Täterkreis, um dem es geht, wäre die abschreckende Wirkung besonders hoch. Wenn die das Gefühl haben, sie könnten erwischt werden, riskieren sie die bürgerliche Ächtung lieber nicht. Wir müssen in diesem Land endlich erreichen, die Eliten zu Steuergerechtigkeit zu erziehen. Das klasische Beispiel ist für mich Peter Boenisch. Boenisch mußte als Chef des Presseamtes zurücktreten, weil er wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Und der Bundeskanzler nimmt ihn im nächsten Bundestagswahlkampf als seinen Chefberater.

Haben die Parteien durch das Gezerre um die Steuerreform ihrem Ansehen geschadet?

Offensichtlich hat das zu Politikverdrossenheit geführt. Ich kann die Menschen nach diesem monatelangen Hin und Her verstehen. Aber wollen Sie denn ernsthaft von einer Politikerin verlangen, einer falschen Steuerpolitik zuzustimmen, nur um den Wunsch der Bevölkerung nach einer Einigung nachzukommen? Zumal jeder unter Steuerreform etwas anderes versteht. In der Zeitung steht die Überschrift, BDI und DGB sind enttäuscht über das Scheitern der Steuerreform. Aber der BDI will die Besteuerung der Nachtzuschläge und die Mehrwertsteuererhöhung zur Senkung des Spitzensteuersatzes. Der DGB würde uns dafür den Kopf abreißen.

War es nötig, immer wieder vergebens die Hoffnung anzuheizen?

Verantwortlich dafür ist die andere Seite, die uns als Blockierer vorführen wollte. Spätestens im Sommer war klar, daß wir bei den unterschiedlichen Ausgangspositionen nicht mehr zusammenkommen. Aber dann hat die Union gesagt, wir machen es noch mal und da wir auf keinen Fall als Blockierer dastehen durften, haben wir die Debatte mitgemacht.

...und sie selbst angeheizt

Ja, dann haben wir natürlich gemerkt, wir können die anderen als Selbstblockierer darstellen. Es war ja völlig klar, daß die sich untereinander blockieren. Schäuble kam uns zwar etwas entgegen, aber entweder Solms sagte, das kriege ich nicht durch oder Waigel, das hat keine Chance.

Im Dezember hat Lafontaine die Debatte noch einmal mit einem neuen Angebot in Gang gebracht.

Ja, das war auch richtig. Das hat uns über Nacht den Blockadevorwurf vom Hals geschafft. Interview: Markus Franz

und Bettina Gaus